Geistlicher Impuls /

Geistliches Wort Archiv

Gedanken zum Kirchenjahr, zu Ereignissen, zum Glauben und zu unserer Gemeinde. Mit dem Geistlichen Wort eröffnen Pastorin oder Pastor den vierteljährlich erscheinenden Gemeindebrief von St. Andreas.

Wenn Sie diesen nicht als Gemeindeglied oder in der Kirche bekommen haben – Sie finden ihn hier auch als PDF zum online lesen oder herunterladen: Gemeindebrief-Archiv

Geistlicher Impuls 01/2023 – Ich will hier bei dir stehen ...

Es ist mal wieder richtig und gut, dass in der Mitte der Kirche das Kreuz zu sehen ist. Das kann ja auch befremden und verstören, dass wir immer auf diesen Gefolterten und Getöteten gucken. Gute Laune macht es nicht. Jetzt kann es aber helfen. Wie?

Ich will hier bei dir stehen,
verachte mich doch nicht.
Von dir will ich nicht gehen,
wenn dir dein Herze bricht.

So beginnt eine Strophe eines der wichtigsten Lieder, die wir in dieser Zeit singen („O Haupt voll Blut und Wunden“ von Paul Gerhardt, Evangelisches Gesangbuch 85,6).

Wer das singt, phantasiert sich zum Kreuz: Ich will hier bei dir stehen. Ich will dir beistehen. Ich kann nichts machen. Aber ich kann bei dir sein.

So ahmen wir die Bewegung nach, die Gott vormacht. Deshalb hängt Jesus am Kreuz. Gott bleibt an der Seite des Menschen, wenn sinnloseste Brutalität waltet, wenn Unschuldige getötet werden. Er hält es selbst aus. Das ist seine Bewegung zu uns. Das ist er am Kreuz. Das ist Barmherzigkeit, empathisch Beistehen.

Es ist schwer, aber auch etwas Starkes, das wir tun können: einander in der Not beizustehen. Nicht zu gehen, da zu bleiben.

Wir versuchen es zurzeit zusammen mit Ukrainerinnen und Ukrainern. Es fällt uns, die wir nicht ganz direkt von dem Krieg betroffen sind, immer wieder schwer, nicht wieder wegzusehen, uns nicht zu gewöhnen, nicht abzustumpfen, uns nicht ablenken zu lassen – sondern wieder und wieder hinzuhören, hinzusehen, da zu bleiben. An der Seite der Ukrainerinnen zu stehen, die in diesem Krieg das Unerträgliche und sinnlos Böse ertragen müssen.

Der Gott am Kreuz motiviert uns dazu: da zu bleiben und so im schrecklichsten Leid, im Grauen des Todes die mitfühlende Kraft des Lebens aufrecht zu erhalten.

Pastor Dr. Kord Schoeler

Geistlicher Impuls 04/2022 – Weniger ist ...

… nicht einfach mehr. Weniger lässt oft zunächst etwas vermissen. So wird es auch in St. Andreas sein. Pastorin Stadtland ist in eine andere Kirchengemeinde gewechselt, und wir werden die Pfarrstelle so nicht wieder besetzen können. Es wird uns etwas fehlen.

Wir danken Anja Stadtland für Ihren Einsatz hier in unserer Kirchengemeinde, sie war ein Segen, wir wünschen ihr einen gesegneten Weg und dass Sie nun anderen ein Segen sein kann.

Bei uns werden wie in vielen Kirchengemeinden die Kräfte weniger – oder sagen wir: die Kräfte werden andere. Neue Kräfte gewinnt gerade der Kirchengemeinderat, das gewählte Gremium, das für Leben und Arbeit der Kirchengemeinde einsteht, entscheidet und Verantwortung übernimmt. Der neue Kirchengemeinderat beginnt seine Arbeit und wird neue Wege gehen.

„Weniger“ werden wir als Impuls nehmen, noch mehr Kooperationen einzugehen, uns Dinge auch abnehmen zulassen, mehr auch ehrenamtlich zu tragen und zu verantworten.

Bleiben wird: das Geschenk der guten Verbindung im Glauben, in der Gemeinde. Der Apostel Paulus schreibt einmal nach Korinth, was ihn in einem schwachen Moment aufgebaut hat: Gott sagte zu mir: genug ist für dich meine Gnade; (meine) Kraft kommt nämlich in Schwachheit zur Vollendung. 2. Korinther 12,9. „Schwachheit“ ist ganz schön wenig, weniger geht kaum. Und dass wir schwach werden, fürchten wir wie kaum etwas anderes, auch als Gemeinde.

„Weniger“ wird, wenn es gut geht, zu einem Moment der Gnade, der Einsicht, dass wir das alles hier nicht selber machen, sondern dass es Geschenk ist, ein Anlass für Gott, seine gütige Kraft zur Vollendung zu bringen.

Wir erleben als Gemeinde gerade jetzt sehr sehr gute Momente, überraschend anrührende und vollkommene, belebende und tröstende.

Vielleicht ist die wichtigste Fähigkeit, die wir, wenn es weniger wird, entfalten können: die Empfänglichkeit.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit und ein gutes Jahr 2023.

Pastor Dr. Kord Schoeler

Geistlicher Impuls 03/2022 – Eine Meditation

 

Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden!

Jetzt? In Freuden und im Frieden? Jetzt, da wir eher fürchten, was kommt? Ein kalter Winter, die nächste Welle, ein Krieg, der sich immer weiter in unser Leben frisst? Im traurigen November?

Ja! Jetzt! Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden! (Jesaja 55,12) Wenn das jetzt berührt, dann berührt es aus einer anderen Welt her.

Noch ist Sommer. Wir singen schon ein paar Wochen Geh aus, mein Herz, und suche Freud / in dieser lieben Sommerzeit … (Evangelisches Gesangbuch 503, Text von Paul Gerhardt). Ja, dieser Sommer birgt in Hitze und Dürre auch die Katastrophe. Aber der Suche und dem Gedanken kann er auch die Öffnung in die andere Welt zeigen:

Ach, denk ich, bist du hier so schön / und lässt du‘s uns so lieblich gehn / auf dieser armen Erden: / was will doch wohl nach dieser Welt, / dort in dem reichen Himmelszelt / und güldnen Schlosse werden?

Wir betreten noch einen weiteren Seelenraum, einen Raum, in dem das klingt und uns erreicht: Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden! Und aus diesem Raum nehmen wir Mut mit in diese Welt.

Schon dazu gehört etwas Wagemut, jene Welt in Betracht zu ziehen. Sie ist nicht sicher da, wir sind skeptisch.

Aber dennoch: wenn das auch nur ein wenig berührt – Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden! – haben wir ihren Rand ertastet, deutet sich schon an, was wir so sehr brauchen: Aus-Sicht und die packende Ahnung, dass wir unsere Grenzen überschreiten können.

Pastor Dr. Kord Schoeler

Geistliches Wort 02/2022 – Krieg ... Frieden?

Es war Heiligabend 2018, als eine Besucherin nach der Christvesper beim Verabschieden („Frohe Weihnachten!“) fragte, ob es möglich sei, in der St. Andreas-Kirche ukrainisch-orthodoxe Gottesdienste zu halten.

Wir kamen ins Gespräch und bald in die Zusammenarbeit: Kurz zuvor war die ukrainisch-orthodoxe Kirche von der russisch-orthodoxen unabhängig geworden und hat seither ein eigenes Oberhaupt.

Nun hatten auch Hamburger mit ukrainischen Wurzeln den Wunsch, Gottesdienst in ihrer Muttersprache zu halten. Ein Priester, Pater Yaroslav Bohodyst, kam nach Hamburg, und seither hat St. Andreas die Ukrainisch-Orthodoxe Gemeinde Hamburg zu Gast.

Seit Anfang 2019 feierte die Gemeinde ihre „Chrysostomos-Liturgie“, wir hatten freundliche Gäste, und zuweilen war noch der Duft des Weihrauchs in der Kirche geblieben.

Als die Pandemie begann, mussten wir ja sehr bald alle Gottesdienste in den Kirchen einstellen. Pater Yaroslav musste in die Ukraine zurück und konnte auch fast zwei Jahre lang nicht wieder nach Hamburg kommen. Wir konnten den Kontakt locker halten und den Faden der Zusammenarbeit jetzt wieder aufnehmen.

Begonnen haben wir mit einem großen gemeinsamen Gebetsgottesdienst für den Frieden am 27. Februar. Pater Yaroslav hatten wir eingeladen, aber drei Tage zuvor hatte Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen.

Erst einige Woche später konnte Pater Yaroslav nun doch zu seiner Gemeinde kommen und ist jetzt bei uns im Pastorat zu Gast. Es sind nun nicht mehr nur Ukrainerinnen und Ukrainer, die länger schon in Hamburg leben, die er betreut, sondern viele Geflüchtete zählen zu unseren Gästen.

Es gibt in St. Andreas jeden Sonntag ukrainisch-orthodoxen Gottesdienst, die Gemeinde hat das orthodoxe Osterfest gefeiert, wir setzen die gemeinsamen Friedensgebete fort, und St. Andreas gibt Raum für Initiativen von Geflüchteten und für Geflüchtete. Es gibt Benefizkonzerte, einen ukrainischen Chor und jeden Samstag das Angebot einer ukrainischen Tanzpädagogin für geflüchtete Kinder.

Das Sommerfest am 2. Juli (ab 15.00 Uhr) werden wir zusammen mit unserer ukrainisch-orthodoxen Gastgemeinde ausrichten.

Das alles ist mitten im Krieg auch ein Geschenk göttlichen Friedens. Denn wir begegnen einander vor allem in der Möglichkeit des gemeinsamen Gebets.

Es war für die ukrainische Gemeinde in der Erschütterung des beginnenden Krieges, in der großen Sorge um Angehörige und Freunde, in Trauer, Wut und Bestürzung über die rohe Gewalt und Zerstörung in der Ukraine das Wichtigste, was wir miteinander tun konnten: in der Kirche, die nun mehr und mehr auch ihr geistliches Zuhause wird, zusammen zu beten.

Als Pater Yaroslav nun auch da war, konnten wir das auch mit ihm gemeinsam tun. Auch dies war und ist ein Geschenk des Friedens, das wir nach vielen Jahrhunderten der Geringschätzung zwischen den Konfessionen als sehr wertvoll erachten müssen: 

dass wir einen Gebetsgottesdienst halten, in dem wir orthodoxe, lutherische und Elemente aus der Weite der Ökumene miteinander verbinden.  Auch für die orthodoxe Kirche ist das nicht selbstverständlich.

Das alles macht den Krieg nicht weniger schrecklich und erschütternd, die Bedrohungen nicht geringer.

Aber dass wir die Ukrainerinnen und Ukrainer in dieser Weise unterstützen können, die uns auch selbst bereichert, ist ermutigend, eine Erfahrung des Wortes Jesu:

Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Matthäus 5,9

Seien Sie – vielleicht beim nächsten Friedensgebet – dabei, unterstützen Sie die Ukrainerinnen und Ukrainer und unseren gemeinsamen Einsatz für den Frieden.

Pastor Dr. Kord Schoeler

Geistliches Wort 01/2022

Liebe Gemeinde,

Ich bin unterwegs von Altona zum Grindel. Hamburg ist ungemütlich. Alles grau. Alles windig. Alles irgendwie nass. Auch der Bus, außen und innen. Menschen steigen aus und ein, mit tropfendem Schirm, der Mantelkragen ist hochgeschlagen, die Maske verdeckt – so scheint es – noch mehr als sonst.

Ich erinnere mich, dass die Busgemeinschaft in vorpandemischer Zeit an Tagen wie diesen manchmal die schlechte Laune miteinander geteilt hat. „Scheiß Wetter heute!“ Oder: „Ihr Hund sieht aus, wie ich mich fühle!“ Regentag-Solidarität. Ganz anders heute. Ich fühle mich spontan einsam, mein rechter, rechter Platz ist frei und ich wünsche mir … einen Menschen herbei.

Der sich neben mich setzt, einfach so. Weil noch ein Platz frei ist. Der nicht mit Mini- oder Maxi-Kopfhörern in seiner Sound-Blase abgetaucht ist, oder eben ganz bei sich ist, so sehr, dass neben ihm ein Ufo landen könnte, ohne Reaktion.

Mittlerweile haben wir die Haltestelle am Schlump erreicht. Eine ältere Dame steigt ein. Mühsam zieht sie ihren Einkaufstrolley die Einstiegsrampe hinter sich hoch. Bleibt irgendwie im Türbereich stehen. Der Bus fährt an, unsanft. Im selben Moment sehe ich sie umfallen, so wie etwas umfällt, was sich nicht abstützen kann.  Auch der Hackenporsche verliert das Gleichgewicht.

Auf den Aufprall-Knall folgt die Busgemeinschaft mit ihrem Bestürzungs-Ton. Viele springen auf, keiner denkt an Masken oder Abstände. Ich habe denselben Impuls, doch es sind schon viele da. Die Busfahrerin kommt dazu. „Alles ok?“ Eine Frau hilft der Gestürzten hoch, bringt sie zum Sitzplatz. Ich spüre die liebevolle Fürsorge – trotz meines Abstands von meinem Platz aus.

Es dauert einige Minuten. Die Situation ist unter Kontrolle. Der Frau geht es gut. „Nicht mehr so stabil mit 88.“, sagt sie. Viele lächeln – das sehe ich unter den Masken. Zum Glück, nichts ist passiert. Doch: Es ist etwas passiert. Der Bus ist jetzt anders unterwegs. Wir reden miteinander. Lächeln uns an. Teilen Erleichterung. Menschen haben sich als Menschen gezeigt. Sind dieser Nächsten mit Liebe begegnet. Nächstenliebe hat eben mit Nähe zu tun. Und wir können es noch.

Gott sei Dank!

Ich bin unterwegs auf dem Weg durch die Passion bis Ostern. Vieles macht einsam, vieles ist nass und grau, einiges schier unerträglich, kaum auszuhalten. Die Welt wankt. Wer ist schon stabil? Im Morgengrauen sitze ich in der Kirche. Mein rechter, rechter Platz ist frei. Meine Einsamkeit hat hier ihren Platz.

Mit dem Aufgehen der Sonne fangen wir an zu singen. Probieren den Osterruf: Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden, die Stimme rechts neben mir. Danke, dass Du stabil bist, Gott!

Ich wünsche Ihnen allen einen gesegneten Weg durch alles, was in diesen Wochen vor uns liegt!

Ihre Pastorin Anja Stadtland

Geistliches Wort 04/2021 "Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen"

Liebe Gemeinde,

es ist Advent. Es ist Weihnachten. Es beginnt ein neues Jahr. Die Jahreslosung für das neue Jahr kommt aus dem Johannesevangelium: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Das Bild von Stefanie Bahlinger zur Jahreslosung zeigt einen hellerleuchteten Raum hinter einem offenen Türrahmen. 

„Gar nicht so einfach, so einen Adventskalender zusammenzustellen“, denkt er sich. 24 Türchen wollen gefüllt werden. Möglichst nicht nur mit Süßigkeiten. Möglichst mit Sinn und Verstand. Möglichst fair und ökologisch. Möglichst vor dem 01.12. Möglichst im lokalen Einzelhandel. „Was ist mit denen, denen das nicht möglich ist“, fragt er sich mit vollem Einkaufskorb, als im Kaufhaus mit „All I want for Christmas is you“ die Weihnachts-Playlist wieder von vorne losgeht.Es ist kalt. Es ist schon lange dunkel geworden. Die lange Reise, die sie gar nicht machen wollten, steckt ihnen in den Knochen. Endlich erreichen sie ihre Unterkunft, ihre Herberge.

Doch schon an der Tür wird ihnen mitgeteilt, dass die Herberge überfüllt ist. So überfüllt, dass sie in den Stall ausweichen müssen. Mitten in der Nacht, erschöpft von allem, bringt sie ihr Kind zur Welt. 

Erst seit Oktober wohnt sie hier. Des Studiums wegen und auch, weil es einfach Zeit war, zuhause auszuziehen. Nach einer etwas zu langen Nacht im Down Under in der Grindelallee 1 steht sie nun vor ihrer neuen Wohnungstür. Erst hatte sie – aus alter Gewohnheit – versucht, mit dem Schlüssel ihres Elternhauses aufzuschließen.

Nun mit dem richtigen Schlüssel in der Hand erschrickt sie, denn von innen hört sie plötzlich Schritte. Ob sie ihren Mitbewohner aufgeweckt hat? Oder. Warte. Ist das hier überhaupt der richtige Stock?

Grau und viel zu schwer ist sie. Die Türklinke hat Rost angesetzt. Und doch ist sie morgens meistens gerne durch diese Tür gegangen. Hat sie mit ihrer Schulter aufgestemmt, wenn sie zum Geburtstag einen Kuchen dabeihatte. Seit 32 Jahren ist sie durch diese Tür gegangen.

Nun schließt sich diese Tür für immer. Nicht mit einem Knall, wie an all den zahllosen Abenden zuvor, sondern leise und bedächtig durch ihre Hand. 

Er steht da in seinen Latschen. Umringt von einer Menschenmasse. Stimmengewirr. Fragen über Fragen. Stille. Er spricht. „Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Räuber.

Der aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe.“ Unverständnis. Gemurmel. Gemurre. Da spricht er wieder: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen.“

Jesus Christus spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Lassen Sie uns als Gemeinde St. Andreas gemeinsam versuchen Türen und Herzen zu öffnen. Ich wünsche Ihnen viel Freunde und Erkenntnis beim Lesen unseres Gemeindebriefes und freue mich auf die nächsten Monate mit Ihnen und Euch!

Ihr Vikar Jakob Pape

Geistliches Wort 03/2021 "Das Ende der Dinge? - Guten Morgen"

Liebe Leserin, lieber Leser,

plötzlich denke ich an Texte, von denen ich bis vor kurzem nicht gedacht hätte, dass ich so direkt auf unsere Lage beziehen könnte. Ludwig Helmbold schreibt 1563 in seinem Lied „Von Gott will ich nicht lassen“:

Auch wenn die Welt vergehet
mit ihrem Stolz und Pracht,
nicht Ehr noch Gut bestehet,
die wir so groß geacht:

wir werden nach dem Tod
tief in der Erd begraben;
wenn wir geschlafen haben,
wird uns erwecken Gott.

(Evangelisches Gesangbuch 365,6) 

Auch wenn die Welt vergehet … Wie pessimistisch! Dies ist so eine Strophe, die wir oft nicht singen und bei der Auswahl überspringen. 

Bilder und Phantasien vom Ende der Welt erschienen uns lange Zeit sehr weit weg zu sein, belanglos und unwichtig. Jetzt können wir uns etwas vorstellen. Es ist keine Frage von Optimismus oder Pessimismus, von Resignation oder Hoffnung, es drängt sich einfach auf. Wir haben erlebt, was uns zuvor undenkbar war: keine Schule, keine Reisen, elender einsamer Tod und dauernde Angst durch die Pandemie.

Dann: weggeschwemmte Häuser, verlorene Menschen und Orte in vorher idyllischen Mittelgebirgstälern, vertrocknende Wälder und Stadtbäume, Hitze und Feuer in Südeuropa. Schließlich: Das Ende der Welt, so wie wir sie bewohnen, wird vorstellbar. Der Bericht des Weltklimarats beschreibt es mit klarer wissenschaftlicher Nüchternheit.

Das alles ist jetzt oder bald. Unser Leben ist durch die Pandemie jetzt schon verändert, und es wird kaum wieder so werden, wie es bis vor kurzem war.Im Gegenteil: wenn wir überleben wollen, müssen wir unsere Lebensweise noch selbst stark verändern.

Wir erleben eine Katastrophe, eine Umwälzung: was uns bisher als unbedingt verlässlich erschien, verschwindet, hört auf, geht nicht mehr weiter.

Wenn die Welt vergehet? Was wir noch tun und lassen können, damit sie nicht vergeht, ist wichtig. Wir sollten es ernst nehmen und anpacken! Aber halten wir kurz an der Grenze, an die wir gekommen sind.

Wenn die Welt vergehet? Was ist das für eine Ton, den der Glaube hier anschlägt? Zunächst eine gelassene Wirklichkeitsnähe: nicht Ehr noch Gut bestehet, die wir so groß geacht: wir werden nach dem Tod tief in der Erd begraben; So ist das. Und dann: wenn wir geschlafen haben, wird uns erwecken Gott.

Wenn die Welt vergehet, werden wir über eine Grenze gezwungen, die wir wie nichts anderes fürchten, weil wir jenseits unserer Welt nichts erahnen oder glauben. Vielleicht müssen wir deshalb die Grenzen unserer Möglichkeiten immer weiter hinausschieben, weil uns hinter diesen Grenzen das Nichts droht.

Könnte dahinter etwas Einfaches sein? Schlafen und Aufgeweckt-Werden? Dass wir alles ganz aus der Hand geben, allen Einfluss und alle Aktivität und alles Immer-Weiter sein lassen (Schlafen), und dann auf das Liebevoll-Einfache vertrauen (Es weckt uns einer auf)?

Das wäre eine Perspektive. Beides wird in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren wichtig werden: dass wir handeln und dass wir lassen. Ich glaube: Gelassenheit können wir aus solchen lange vergessenen Bildern und Dichtungen gewinnen.

Pastor Dr. Kord Schoeler

Geistliches Wort 02/2021 "Jetzt ist Sommer"

Liebe Gemeinde,

augenzwinkernd erkennt man als Vikar das eigene Älterwerden daran, dass man Lieder von Bands hört, die es gar nicht mehr gibt. So wie das Lied „Jetzt ist Sommer“ von den Wise Guys. Wenn Sie mögen, dann machen Sie sich das Lied gerne an, während Sie diesen Text lesen.

„Jetzt ist Sommer, egal ob man schwitzt oder friert – Sommer ist, was in deinem Kopf passiert“ heißt es im Refrain des Liedes. Ich habe es zum ersten Mal auf einem Kirchentag vor vielen Jahren live gehört und natürlich hat es dabei in Strömen geregnet.

Ein „bisschen“ Platzregen kann einen jungen Menschen nicht erschüttern und erst recht nicht, wenn er das Hamburger Schietwetter gewöhnt ist. Also haben wir damals einfach mit dem Konzert weitergemacht: „Es ist Sommer, ich hab‘ das klar gemacht. Sommer ist, wenn man trotzdem lacht.“

Ich glaube nicht, dass der Sommer im Kopf so einfach ist, wie es besungen wird: „Ich drücke einfach auf den kleinen grünen Knopf und die Sonne geht an in meinem Kopf.“ Allzu häufig stehe ich mir dabei selbst im Weg. Bildlich gesprochen gibt es viele große rote Knöpfe in meinem Kopf, die zwischen mir und der besungenen sommerlichen Leichtigkeit und Freude stehen. 

Ich schreibe diese Zeilen kurz vor Himmelfahrt. Noch ist es nicht abzusehen, wie dieser Sommer wird. „Normal“ aber sicher nicht. Vieles, was neben dem Wetter den Sommer ausmacht, wird nicht oder ganz anders stattfinden. Sommerfeste, Urlaube, dichtes Gedränge in der Eisdiele, Festivals, Hochzeiten mit Tanz und Musik. „Sommer ist, wenn man trotzdem lacht.“ 

Es wird diesen Sommer Vieles geben, dass wir zurecht beklagen. Etwa, dass nach wie vor – täglich zahlreiche Familien und Angehörige einen geliebten Menschen im Zusammenhang mit Covid19 verlieren. Einiges Beklagenswertes wird auch unabhängig von Corona sein und sich im Kontext der Pandemie ganz banal anhören, ohne es zu sein. „Ich bin sauer, wenn ein Andrer meine Traumfrau kriegt und am Pool mit dieser Frau auf meinem Handtuch liegt.“, singen die Wise Guys.

Trotz der vielen roten Knöpfe mache ich mir mit einem Wort aus dem Alten Testament Mut. „Wer im Sommer sammelt, der ist klug; wer aber in der Ernte schläft, wird zuschanden.“ (Sprüche 10,5) Ich möchte sammeln! Die Sonnenstrahlen, auch wenn die nächsten Regenwolken schon im Anflug sind. Den Gottesdienst, auch wenn nicht gesungen werden darf. 

Das hoffentlich bald verantwortbare Grillen mit einigen Freund*innen, auch wenn nicht alle dabei sein können. Die standesamtliche Trauung, auch wenn die kirchliche mit dem großen Fest erst im nächsten Jahr stattfinden kann. Das Festival, auch wenn man nur online ein Teil davon sein kann. Treffen mit meiner Großmutter, auch wenn das Abstandhalten sich dabei immer komisch anfühlt. 

„Es ist Sommer, ich hab das klar gemacht, Sommer ist, wenn man trotzdem lacht. Jetzt ist Sommer.“

Ihr Jakob Pape

Geistliches Wort 01/2021

Liebe Gemeinde,

im Frühjahrs-Lockdown vor einem Jahr höre ich auf meinen Laufrunden den Roman „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky. Selma hat in der Nacht von einem Okapi geträumt, ein seltenes afrikanisches Säugetier. Schon dreimal hatte sie das, und immer war unmittelbar danach jemand gestorben. Also würde auch jetzt jemand sterben. Eigentlich ist niemand im Dorf wirklich abergläubisch, aber Selmas Traum schafft Tatsachen: Plötzlich erscheint im Leben der Tod. „Und alle taten, als würde er wirklich jetzt ersten erscheinen, […] als sei er nicht schon von Anfang an mit von der Partie“. (S. 21)

Das Leben verändert sich mit dieser Aussicht, einige sind übervorsichtig, schreiben Abschiedsbriefe, gestehen einander lang gehegtes Geliebtes und Ungeliebtes. Wahrheiten kommen ans Licht. Einige wenige hoffen: Möge ich der- oder diejenige sein. Andere wiederum sind gelassen.

Als Hörerin dieser Geschichte bin ich erstaunt und gerührt, was ich alles von hier aus zu sehen bekomme und was mir zu verstehen angeboten wird:

Auf die Frage: Gibt es eine Ähnlichkeit zwischen Tod und Liebe? antwortet der Optiker, der Profi für gutes Sehen: „Beides kann man nicht proben, beidem entkommt man nicht, beides ereilt einen.“ (S.51)

In Leky’s Roman kommt der Tod, und er kommt dort, wo keiner ihn vorausgesehen hat. Die Unberechenbarkeit erschüttert alles. Der Roman endet nicht mit dem Tod. Auch die Liebe kommt, wo keiner sie erwartet hat. Und erschüttert alles.

Die Zeit vor Ostern – die Passionszeit – ist die Zeit im Kirchenjahr, in der die Erschütterung Raum bekommt. „Ich werde sterben!“ Unglaublich, was Jesus voraussieht und voraussagt. Sein Leiden, den Verrat, die Einsamkeit. Wer will das sehen, wer will das hören? Am besten durch die Hintertür raus aus dieser Affäre. Mit mir soll das nichts zu tun haben. Nicht nur den Jüngern Jesu damals geht das so.

„Diese Pandemie wird uns lange beschäftigen!“ Die Vorausschauenden hatten es nicht leicht, als das Virus kam. Wer will das sehen? Wer will das hören? Seit über einem Jahr nun bestimmt und erschüttert Covid-19 unseren Alltag. An viele Veränderungen haben wir uns gewöhnt, an manche werden wir uns nie – hoffentlich nie – gewöhnen. Vor einem Jahr sind wir im Dunkeln getappt. Vielleicht ist alles ganz schnell wieder vorbei, vielleicht sterben wir jetzt alle, einen Impfstoff zu entwickeln, das wird eine Ewigkeit dauern.

Und heute? In vielem sehen wir klarer, doch was ist denn sicher von dem, was man von hier aus sehen kann?

Jesus kommt zurück ins Leben – unbegreiflich sein Leben, sein Tod und Auferstehen. Er geht er mit seinen Jüngern auf einen Berg, kurz bevor er in den Himmel aufsteigt. Was man von hier aus sehen kann! Als Hörerin dieser Geschichte bin ich berührt und erschüttert wie die Jünger.

Jesus will etwas von mir! Jesus will etwas von uns! Lasst Euch ereilen vom Leben und von der Hoffnung auf Leben: Wann immer es geht, lebt! Liebt! Breitet das Wort aus!

„Und ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende!“

Ihre

Pastorin Anja Stadtland

Geistliches Wort 04/2020 – O Heiland reiß die Himmel auf

Geistliches Wort zum Advent

Warten …
Harren …
Meine Seele …!

Ich
Warte
Harre
… des Herrn. Psalm 130

Es droht eine beklommene Adventszeit zu werden. Wie lange müssen wir uns fürchten? Und einschränken? Und die Nähe meiden? Und Aufpassen?

Wie werden wir mit diesen Sorgen Weihnachten feiern?

In der Pandemie hat die Lebensgefahr so weit in unser Leben ausgegriffen, dass fast alles dadurch mindestens getrübt, wenn nicht bedroht oder beendet ist.

Viele sind traurig und erschöpft. Was soll das für eine Adventszeit wer-den?! Wie sollen wir uns mit der Erschöpfung in dieser doch sonst so schönen Zeit unterbringen? Unsere Adventslieder machen uns das leicht. Sie nehmen uns, wenn wir traurig sind, mit offenen Armen auf und geben uns eine treffende Sprache:

Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.

So heißt es im Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ von Friedrich Spee. Und auch: „Hier leiden wir die größte Not …“
Im Lied kann man das singen, und es ist schön. Man kann einmal äußern, dass es hier gerade ein Jammertal ist, und es muss einen oder eine nicht niederdrücken, es gibt vielmehr eine eigentümliche Kraft, obwohl doch nichts wirklich besser wird. Vielleicht können wir es „Wehmut“ nennen.

Die Fähigkeit zur Wehklage ist uns ja gründlich abhanden gekommen. Beim Jammern fürchten wir allzu leicht die lähmende Bedrückung einer Depression. Dabei ist, das Weh zu fühlen und auszudrücken, eine menschliche Fähigkeit, die uns standhalten lässt. Weh zu klagen macht Mut, lässt dulden, und das zu können, gibt das gute Gefühl der Wehmut.

Aus einem anderen Adventslied, dem „Wie soll ich dich empfangen?“ von Paul Gerhardt:

Was hast du unterlassen
zu meinem Trost und Freud,
als Leib und Seele saßen
in ihrem größten Leid?
Als mir das Reich genommen,
da Fried und Freude lacht,
da bist du, mein Heil, kommen
und hast mich froh gemacht.

Das schreib dir in dein Herze,
du hochbetrübtes Heer,
bei denen Gram und Schmerze
sich häuft je mehr und mehr;
seid unverzagt, ihr habet
die Hilfe vor der Tür;
der eure Herzen labet
und tröstet, steht allhier.

Diese Adventszeit kann eine werden, in der wir ausharren, aushalten mit weiten Herzen, auch wenn nichts besser geworden sein wird in der Pandemie und anderen Katastrophen. Denn wir singen nicht: „Mach das weg!“, sondern „O Heiland, reiß die Himmel auf!“ Wehmut gewinnen wir im besten Sinn, wenn der Himmel aufreißt, wenn sich uns noch eine andere Wirklichkeit in der Seele öffnet.

Dann verändert sich auch das Finstere und Bedrückende. Ein letztes poetisches Stück aus dem Lied „Nun komm, der Heiden Heiland“ von Martin Luther:

Die Krippen glänzt hell du klar,
die Nacht gibt ein neu Licht dar,
Dunkel muss nicht kommen drein,
der Glaub bleib immer im Schein.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine gesegnete Adventszeit!

Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 03/2020 – Fragen stellen!

„Angsthase, Pfeffernase, morgen kommt der Osterhase!“ so schallt es gerade wieder einmal über den Spielplatz in unserer Nähe.

Gott sei Dank! Die kleinen „Rüben“ sind wieder unterwegs und erkunden spielend die Welt und ihr Leben! Mich fasziniert: als Kind wiederholst du ständig Situationen, lernst: wenn ich mich so oder so verhalte, das trägt, aber darauf kann ich mich nicht verlassen!

So lerne ich Vertrauen, lerne meine Möglichkeiten und meine Grenzen einschätzen! Das macht mich stark. So löse ich Probleme, bewältige sogar Krisen!

Als ich „groß“ war, traute ich mir nicht mehr alles unbedingt zu, bin vorsichtiger geworden. Als Kind bin ich sprachlich in meiner Binnenwelt geschützt: „Angsthase, Pfeffernase, morgen kommt der Osterhase!“ werde ich meiner Chefin nicht entgegenrufen, wenn ich finde, sie träfe keine Entscheidungen.

Aber ich erinnere mich doch an diesen Spruch aus Zeiten, als ich selbst so alt war. Gelernt hatte ich ihn im Kindergarten, fand ihn lustig, da klang was zusammen. Ich wusste nicht, dass man so etwas Reim nennt. Allerdings konnte ich so anderen sagen: „Du traust dich nicht! Ich bin mutiger als du!“

Kinder benutzen eine Binnensprache, die sie weitertragen, z. B. in der KiTa.Und wir Erwachsenen? Uns fällt es nicht mehr auf. Ich bewohne „Sprachräume“. Sie verbinden Zeit und Raum. Das kennen Sie: Treffen Sie sich mit Gleichaltrigen, wird in der Regel vieles verständlicher sein, als wenn Sie auf Menschen anderer Generationen treffen.

Da muss ich manchmal mehr erklären. Wenn ältere Menschen vom „Kriege“ statt vom „Krieg“ sprechen, rollt manche jüngere Augenbraue und umgekehrt gilt das, wenn man inzwischen „chillt“, statt sich auszuruhen.

Zur Parallelsprache in einer Parallelwelt ist mein christlicher Glaube geworden: bis Anfang des 15. Jahrhunderts deutete ausschließlich Kirche die Wirklichkeit, rang um Antworten.

Wer ist Gott? Wie kann er mir helfen? Wie kann Gott Mensch sein? Wie muss ich mich ihm gegenüber verhalten? Was bedeutet Schuld?

Das ist vorbei.

Viele verstehen die Sprachbilder nicht mehr, die über Generationen benutzt wurden. Ich frage mich, haben wir als Kirche verstanden, dass das so ist? Setzen wir Pastorinnen und Pastoren nicht Bilder, Erfahrungen und Geschichten voraus, die immer weniger kennen?

Da hilft auch einfache Sprache nicht weiter. Binnen- und Außenperspektive überschneiden sich seit langem nicht mehr.
„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht“, so formuliert es Paulus im 1. Korintherbrief.
Besonders dieser Apostel musste immer wieder Fragen nach der Wirklichkeit Gottes in der Welt beantworten. „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Psalm 139,14 Diese Zusage steht vor meinen Fragen an Gott und lässt sie zu.

Ich bin überzeugt, Fragen neu zu hören, um Glaubensantworten besser zu verstehen, bestärkt mein Vertrauen an die Zusage: „Ich bin Gottes geliebtes Kind!“ Wie ich in einem Kaleidoskop Wirklichkeit noch einmal anders schaue, verändern biblische Bilder und Geschichten meine Sichtweise auf Leben.

Ihr Pastor Götz Neitzel

Angedacht 02/2020 – Pfingsten 2020 – (k)eine Geburtstagsparty für die Kirche?
Die Pfingstgeschichte, wie sie in der Apostelgeschichte des Lukas steht, ist voll von no-goes zu Coronazeiten: „Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort …“(Apg 2,1).

50 Tage nach Ostern haben sich die von Jesus Berufenen versammelt und sitzen zusammen in einem Haus. Mindestens 11 Personen, wenn nicht mehr und bestimmt nicht mit 2 Meter Sicherheitsabstand. Aber nicht genug damit: Als es braust und stürmt und Feuerzungen auf ihren Häuptern erscheinen, als sie beginnen, in fremden Sprachen zu predigen, da läuft eine große Menschenmenge zusammen. Sie staunen, lassen sich begeistern und schließlich taufen – etwa 3000 Menschen, so lesen wir: der Geburtstag der Kirche.

Von so etwas können wir in diesem Jahr nur träumen. Wir können froh sein, wenn wir in kleiner Runde Gottesdienst feiern und taufen können, nachdem die Kirchen zu Ostern noch ganz leer waren. Angesichts der Katastrophe, die unsere Welt verdüstert und die Zukunft ungewiss macht ist dies aber noch der kleinste Dämpfer unserer Feierstimmung.

Eins ist in diesem Jahr allerdings ein bisschen wie zur Geburtsstunde der Kirche: Unser Gotteshaus ist jetzt nach außen hin offen wie das Haus, in dem sich die Jünger damals trafen! Wie hätten sonst die 3000 Menschen mitbekommen können, was zu Pfingsten geschah, wenn Fenster und Türen geschlossen gewesen wären?

Im zweiten Weltkrieg bei Bombenangriffen brannte unsere Kirche aus und man entschloss sich beim Wiederaufbau, die Fenster hinter dem Altar und die große Rosette zur benachbarten Schule hin zuzumauern. Es heißt, man wollte sich nach den Versäumnissen während der Naziherrschaft bewusst vom Weltlichen abwenden.

Tatsächlich verschwand die Kirche gewissermaßen in der Häuserfront und wurde kaum wahrgenommen. Das ist anders, seit wir die Offene Kapelle haben. Rund um die Uhr zündet man hier Kerzen an, Menschen kommen und gehen, lassen ihre Gedanken und Gebetsanliegen bei uns, nehmen die Sonntagspredigt mit nach Hause. Die Kapelle ist wie ein offenes Fenster zum Stadtteil. Sie bereichert uns als Gemeinde wohl mindestens ebenso wie die Menschen, die sie besuchen.

Unser Versammlungsort, wird dadurch größer und lichter. Vielen Dank dafür! Es macht uns deutlich, dass der Ort, an dem Gottes Geist wirkt, größer ist als unser Kirchraum, ja auch größer als der Stadtteil. Gott will seinen Geist über „alles Fleisch“ ausgießen (Joel 3,1), will, dass alle Welt spürt: „HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen!“ (Ps 36,6)

So deutlich wie jetzt haben Menschen weltweit wohl noch nie wahrgenommen, dass sie über Grenzen hinweg miteinander verbunden, aufeinander angewiesen und füreinander verantwortlich sind. Gerade darin, dass sie sich zum Schutz anderer und der gesamten Schöpfung physische Grenzen setzen, liegt eine große Freiheit, die mich trotz allem irgendwie feierlich stimmt.

Dies ist das letzte Pfingstfest, das ich in St. Andreas feiere. Im Juli trete ich eine Pfarrstelle in Preetz in der Holsteinischen Schweiz an. Der Ausblick vom Fenster meines Pastorates dort über den Kirchsee macht mir aber ganz deutlich: Gottes Güte reicht so weit der Himmel ist. Was uns auch sonst erwarten mag, sein guter Geist, den Gott über alles Lebendige ausgießt, wird auch uns über die Distanz hinweg verbinden.

Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 01/2020 – Meine Gnade ist genug für dich ...

Meine Gnade ist genug für dich, denn die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung … denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark. (1. Kor 12, 9-10)

Meine Gnade ist genug für Dich, denn die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung … denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark. (1. Korinther 12, 9-10)

Es ist immer und immer wieder ein schwer auszuhaltender Gegensatz, wenn wir Gott suchen oder vielleicht auch nur eine gute spirituelle Erfahrung, wenn wir vielleicht eine Kirche betreten und unser Blick auf dieses abstoßende Bild fällt: diesen Menschen am Kreuz. 

Wir suchen Stärkung.
Schwäche können wir uns nicht leisten.
Dabei ist Schwäche eine Gegebenheit unseres Lebens. Die Bedürftige, der Müde, die Hungrige sind schwach, auch der Verletzte, die Gescheiterte, der Verwirrte. 

Nackt bin ich vom Mutterleibe kommen – nackt werde ich wieder hinfahren. (Hiob 1,21)

Bloß sein, bloß Mensch sein – so fängt unser Leben als Säugling an und so ist es wieder, wenn wir sterben. Wir sind bedürftig und können uns nur anvertrauen, so schwach sind wir.

Schwäche können wir uns aber nicht leisten? So leben wir zumeist dauernd, arbeiten wir an uns, verbessern uns, trainieren, dulden keine Ausreden, setzen noch einen drauf, machen uns stark, können immer noch, nur nicht schwach werden!

Was widerfährt unserer Seele, wenn sie in einer Kirche den bloßen Menschen am Kreuz erblickt Im besten Fall werden wir irritiert, aufgestört, bleiben nicht im Mainstream, weil wir auf ein Paradox stoßen: Gott in der Schwäche. Er ist Gott. Und er ist bedürftig.

In der Schwachheit kommt die Kraft zur Vollendung. Aus dem Tode ersteht er auf.
Meine Gnade ist genug für dich! Für dich, die Du Dir nichts schenken lassen kannst, weil Du Dir die Schwäche nicht erlaubst, für Dich, für den niemand die Arme ausbreitet, weil Du selbst genug Power hast, die Welt zu retten.

Gnade kann diese paradoxe Begegnung sein: die Entdeckung einer Kraft, die sich nur der Bedürftigkeit erschließt.

Eine gute Passionszeit und frohe Ostern wünscht Ihnen Pastor Schoeler.

Angedacht 04/2019 - Ein Stern, der uns den Weg weist.

Gedanken zum Lichtwunder der Weihnacht.

Der kleine Ottar stand draußen. Alleine. In der Kälte. Der Wind pfiff über das schneeweiße Land, auf dem die Abenddämmerung lag. Entschlossen stapfte er über den Hof, um Feuerholz zu holen. Nachher würden sie den Weihnachtsbaum zusammen schmücken. „Ob es Mama wohl gut geht?“, schoss es ihm durch den Kopf.

Schon wochenlang wartete er auf einen Brief aus dem Krankenhaus. „Wenn Mama im Himmel ist, werde ich hier wegmüssen“, dachte er, „dann werden meine Verwandten mich nicht mehr haben wollen, weil kein Geld mehr kommt.“ Gedankenverloren schaute er nach oben in die Baumkronen, wo eine einsame Eule wie eine Wächterin ihr Lied sang. Ottar merkte, wie ihm eine Träne auf der Wange gefror. Er wusste noch nicht, dass seine Mutter in der vergangenen Nacht gestorben war.

Da plötzlich sah er ihn: Weit oben zwischen den Wolken kam ein großer goldener Stern am blassblauen Himmel daher gesegelt! Geruhsam glitt er seine Bahn entlang, indem er wie durch einen Schleier hin und wieder zwischen den Wolken aufblitzte. „Nein, das kann nicht sein! Könnte das der … – aber wie …?“. Ottar bekam vor Aufregung kaum noch Luft, sein Herz raste immer schneller. „Das muss der Weihnachtsstern sein! Der Stern der Weisen, der damals im Osten entzündet wurde und über das Himmelszelt wanderte, bis er in einem fremden Land über dem kleinen Stall stehenblieb.“ Ottar erinnerte sich an die Geschichte von Jesu Geburt, die seine Lehrerin kurz vor den Winterferien in der Schule erzählt hatte. „Warte – wo willst du hin…?“, rief Ottar dem Stern entgegen.

Abrupt ließ er das Feuerholz fallen und folgte dem Stern, als würde ihn etwas im Innern antreiben. Stundenlang wanderte er dem Stern hinterher, bis er sich in einer unbekannten Gegend wiederfand. Da merkte er voller Schrecken, dass er sich geirrt hatte: Nicht der große, helle Stern hatte sich bewegt, sondern nur die Wolken! „Wie konnte ich nur so blöd sein?“, schluchzte Ottar. Eine Welt brach für ihn zusammen. Er war schon zu weit gelaufen, als dass er im Dunkeln wieder hätte umkehren können. „Was soll ich jetzt bloß tun?“ Müde, erschöpft, hungrig und halb erfroren erblickte er in der Ferne ein Häuschen, aus dessen Fenstern Licht schien. Nach Hilfe suchend klopfte er an die Haustür. Als diese sich öffnete, strahlten ihm die warmen Augen eines älteren Ehepaars entgegen. Da wusste er tief im Herzen, dass er sein neues Zuhause gefunden hatte. Ob nicht doch der Weihnachtsstern für ihn entzündet worden war?

In dieser nacherzählten Geschichte von Marie Hamsun aus Norwegen geschieht etwas Wun-dersames: Ein kleiner Junge, der haltlos und einsam ist, vertraut im richtigen Moment seiner Intuition und lässt sich von einem hellen Licht leiten, das ihn in seinen Bann zieht. Wer hat noch den Mut, so etwas zu tun? Alles stehen und liegen zu lassen und einfach der inneren Stimme zu folgen, ohne das Ziel zu kennen, ohne Angst zu haben. Einfach ins Unbekannte aufzubrechen und – zu vertrauen. Wie schön das ist – wie schwer das ist. In den Wirren des alltäglichen Lebens verlieren wir oft die Orientierung und damit den klaren Blick auf das, wofür wir wirklich leben, auf das, was uns tief im Innern trägt und antreibt.

Wäre da bloß ein Stern, der uns wie Ottar den Weg durch die nebeligen Wälder weisen könnte… – Ich vertraue darauf: Er wird sich zeigen! Gerade mit Blick auf das Wunder der Heiligen Nacht sind wir aufgefordert, wachsam für dieses Licht zu sein, das den Kurs lenkt, uns zum Besten. Denn Jesus wurde als Hoffnungsträger und Lichtspender, allen Gewalten zum Trotz, in diese Welt geboren: um uns zu offenbaren, dass bei Gott alles möglich ist.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine (im wahrsten Sinne des Wortes) erhellende und gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!

Ihre Vikarin Olivia Brown

Angedacht 03/2019 - Unsere Orgel – jetzt spielt sie wieder.

Mitgefühl als göttliches Geschenk (Lk 10, 25-36

Angedacht Unsere Orgel – jetzt spielt sie wieder…
Wiedereinweihung am 14. September 2019

Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum,
lobet ihn in der Feste seiner Macht!
… Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen!
Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen!
… Alles, was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja! (Psalm 150)

Drei Monate musste unsere Gemeinde ohne ihre Orgel auskommen, weil sie von Grund auf saniert wurde (Mehr dazu auf S. 10.). In dieser Zeit hat sich mir besonders gezeigt, wie prägend dieses Instrument für unser gottesdienstliches Leben ist: sei es eine festliche Einzugsmusik zu Konfirmation oder Trauung, ein lebendiges Präludium beim Gottesdienst zum Schulanfang, meditative Klänge bei der Austeilung des Abendmahls oder auch die Begleitung des Gemeindegesangs.

Aber was macht die Orgel so besonders? Kantor Michael Thom sagt, dass die Orgel auf ganz vielfältige Weise Verkündigung und Gotteslob stütze. Das sei ihre Aufgabe bzw. die des Organisten, der sie spielt: Stimmungen, die im Raum während des Gottesdienstes entstehen, aufzunehmen und zu Gehör zu bringen. Dabei spiele die Improvisation eine wichtige Rolle. Die Vielfalt der Register biete eine Fülle verschiedener Klangfarben. Obwohl alle Klänge mit Pfeifen erzeugt werden, erklängen Posaunen, Harfen und Saiten scheinbar ebenfalls. Und das Schwellwerk erweitere das Spektrum von sphärisch-säuselnden Klängen bis hin zum majestätischen Brausen. Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!

Der Orgel geht dabei nie die Luft aus, während die menschliche Stimme ebenso wie Blasinstrumente Atempausen benötigen. So können Orgelklänge gewissermaßen zum Sinnbild für das Unendliche werden. Und wenn wir dann mit unserem begrenzten Atem in diesen dauernden Luftstrom einstimmen, können wir uns gewissermaßen im Unendlichen aufgehoben fühlen.

Vielleicht ist es auch das, was unseren Orgelbauer Frank Retterath zuerst am Orgelklang fasziniert hat. Als Kind durfte er im Gottesdienst helfen, indem er zusätzliche Orgeltasten mit dem Finger gedrückt hielt, während der Organist spielte. Er konnte also das Klangerlebnis mit erzeugen. Diese Erfahrung weckte auch sein Interesse an der Technik, die dahinter steckt. Jede Orgel ist ein Unikat, ein Individuum sozusagen – genau abgestimmt auf den Raum und den Anlass, zu dem sie erklingt.

Über unsere Orgel schreibt mein Kollege Pastor Dr. Schoeler, der ihre Sanierung begleitet hat: „Die neobarocke Orgel in diesem gar nicht sehr großen Raum erzeugt geradezu einen Kathedral-Klang, sie weitet den Raum, lässt ihn größer erscheinen, bzw. ‚erhören‘, jedoch ohne das Verschwimmen und Verhallen des Tons in tatsächlich sehr großen K i r – chen.“ Dabei muss jede Pfeife exakt intoniert sein – für sich, aber auch im Gesamtklang. Nicht nur eine Orgel neu zu bauen, ist darum eine große Herausforderung, sondern auch unsere Orgel wieder zu ihrem vollen Klang zu bringen – fast schon ein schöpferischer Vorgang. Aber auf die Frage hin, ob dann der Orgelbauer der Orgel gewissermaßen eine Seele gebe, zögert Retterath: Die Orgel sei letztlich doch ein technisches Werkzeug, dessen sich der Organist bediene, um der Gemeinde zu dienen, die wiederum Gott diene …

Der Orgelbau und das Orgelspiel wurden 2017 zum Weltkulturerbe erklärt. Seit dem Mittelalter ist Orgelmusik Teil der kirchlichen Liturgie. Michael Thom ist aber auch wichtig, dass die Orgelmusik nicht bei Bach oder Liszt stehen bleibt. Für viele Menschen heute ist diese Musik bewundernswert, hat jedoch etwas Museales. Darum spielt Thom auch modernere Stücke wie Saties Gymnopedie Nr. 1 oder Mons Leidvin Takles „Power of Life“ im Gottesdienst (Letzeres können Sie am 14.09. bei der Wiedereinweihung der Orgel hören). Und er komponiert selbst.

Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 02/2019 – Mitgefühl als göttliches Geschenk

Mitgefühl als göttliches Geschenk (Lk 10, 25-36)

Mitgefühl ist etwas, das uns Menschen ausmacht. Wir können dieses Gefühl nicht steuern oder abschalten. Die Bilder von Leid und Katastrophen, die uns die Fernsehnachrichten allabendlich ins Wohnzimmer liefern, sind oft schwer zu ertragen.

Im Griechischen gibt es ein Wort für das Empfinden von Mitgefühl, das eng mit dem griechischen Wort für Eingeweide verwandt ist. Auch die Tätigkeit unserer Eingeweide können wir nicht willentlich steuern. Vielleicht fühlt sich Mitgefühl darum so an, als würde sich innerlich etwas zusammenziehen. Luther übersetzt in der Geschichte vom Barmherzigen Samariter mit „es jammerte ihn“.

Im Lateinischen und im Deutschen machen die Worte „misericordia“ bzw. „Barmherzigkeit“ deutlich: Da geschieht etwas in unserem Herzen, in unserem Inneren mit uns. Es ist gut, dass wir Menschen mit dieser Gabe ausgestattet sind, das Leid des anderen zu spüren, auch wenn es manchmal unbequem ist. Davon erzählt das biblische Gleichnis vom „Barmherzigen Samariter“, das auch heute noch fast jeder kennt. Wir können uns immer noch bestens in das Geschehen hineindenken: Ein Überfall mitten in der Öffentlichkeit; jemand bleibt am Wegesrand zurück – ausgeraubt, hilfsbedürftig, halbtot; Menschen gehen – aus welchen Gründen auch immer – vorbei, als hätten sie nichts gesehen. Dann kommt ein Fremder, von dem es heißt: „Es jammerte ihn“. Er hat Mitgefühl – und handelt: Er versorgt die Wunden des Verletzten, hebt ihn auf sein Reittier und bringt ihn in ein Gasthaus, wo er auf seine Kosten gepflegt werden kann.

Nach einer Vorlage von Eugène Delacroix hat Vincent van Gogh 1889, ganz am Ende seines Lebens, das Bild vom „Guten Samariter“ gemalt. Sachverständige sind sich über die künstlerische Leistung uneins. Hat van Gogh hier nur wie ein Kunsthandwerker ein schon vorhandenes Werk in seinem Stil wiedergegeben? Aus meiner Sicht setzt er jedoch Akzente, die ein neues Licht auf die Szene werfen:

– Das wache, schmerzvolle Gesicht des Verletzten, sein haltsuchendes Klammern: Wer das Bild betrachtet, muss mit ihm fühlen.
– Die besondere Anstrengung des Samariters beim Heben auf das Pferd: Barmherzig zu handeln ist nicht immer leicht.
– Die große Nähe der beiden: Zwei Fremde werden sich buchstäblich zu Nächsten. Fast könnte man trotz der Schmerzen und der Anstrengung meinen, sie tanzten zusammen nach einer Musik, die alles andere in den Hintergrund drängt.
– Die rote Mütze des Samariters: Wahrscheinlich hatte van Gogh eine schwarzweiße Vorlage. Warum auch immer er sich entschieden hat, diese Mütze so hervorzuheben, lässt es mich daran denken, dass rot die Farbe des Heiligen Geistes ist. In der Kraft des Geistes sehe ich die Quelle des Mitgefühls, das wir nicht abschalten können und das uns zu Menschen macht. Mit seinem Geist schenkt Gott uns die Liebe, die selbst Fremde einander zu Nächsten werden lässt. Die Kraft des Geistes Gottes ist die nicht zu hörende Musik, nach der die beiden zu tanzen scheinen.

Pfingsten, das Fest der Ausschüttung des Heiligen Geistes, ist darum ein Fest, das nicht nur im stillen Kämmerlein gefeiert werden will, sondern es ist ein Fest der Grenzüberwindung, der Begegnung und der Freude darüber, dass Gott uns mit- und füreinander fühlen lässt. Um diesem Gedanken Ausdruck zu verleihen, will unsere Gemeinde dieses Fest am Pfingstmontag unter freiem Himmel im Kaifu-Park feiern und alle dazu herzlich einladen.

Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 01/2019 – Ey, ihr Dösköppe!

 

Die Geschichte hat das Zeug zu einer Komödie

Die Zuschauerin, die Leserin oder der Hörer wissen viel mehr als die beiden Tölpel, die gleich auftreten werden, und man wird sich über ihre Begriffsstutzigkeit wundern.

Wir wissen längst, was auch die beiden Jünger Jesu gleich dem angeblich ahnungslosen Fremden erzählen werden: „was in diesen Tagen dort“ – in Jerusalem – „geschehen ist … Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden‘s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.“ (Lukas 24,18-24)

Die beiden, Kleopas der eine, der andere namenlos, hatten genug von alledem und deshalb die Stadt verlassen. Aber es lässt sie nicht los. Sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten (V. 14). Jesus stößt zu ihnen auf dem Weg, aber sie sind vor lauter Traurigkeit zu blöd, ihn zu erkennen: „Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten“ (V. 16). Als sie ihm „Das mit Jesus“ erzählen, hört er sie an und fährt dann aus der Haut: Ihr Deppen – „O ihr Toren“ übersetzt Luther etwas altertümlich, aber nicht weniger derb – ihr Dösköppe, „zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!“ Es ist komisch, wie er ihnen jetzt nicht (nur) die Leviten, aber die Propheten liest, wie sie aber immer noch nichts verstehen. „Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?

Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war“ (V. 26f). Auch als sich langsam in ihrem blöden Herzen etwas tut, treibt er sein Spiel mit ihnen weiter: „Sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen“ (V. 28) Aber sie laden ihn ein, er geht mit, schließlich sitzen sie beim Abendessen und da: „nahm er das Brot, dankte, brach‘s und gab‘s ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn.“ Aber nicht genug damit: „Und er verschwand vor ihnen“ (V. 30f).

War das nun alles Einbildung? Geht das so weiter, auch für uns, eine anstrengende Botschaft der Frauen, die wir zu blöd sind zu verstehen? Nein, vielmehr zeigt die Geschichte, dass wenn es ein Anliegen des Auferstandenen gibt, dann dieses, unsere Blödheit zu überwinden, unsere Hoffnungslosigkeit, unser träges Herz, das dazu neigt, sich mit dem Tod und dem Scheitern einzurichten, das so gern jammert: Bist du der Einzige … der nicht weiß, was in diesen Tagen … geschehen ist?! Es ist doch alles schrecklich! Und so weiter. Jesus setzt sich mit diesen Dösköppen zum Mahl, dankt, teilt aus, wird erkannt, und wenn es gut geht, sind unsere Herzen dann klüger, wir vernünftiger und das heißt hoffnungsvoller!

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 04/2018 – Macht hoch die Tür, die Tor macht weit
 

Offene Türen – volle Kirchen – erfüllte Herzen

Auf dem Bild ist unsere Kirchentür geschlossen. Aber sie wird bald weit aufgemacht und viele von Ihnen werden im Laufe dieses Monats hindurchgehen. Die meisten am 24.12. Wir freuen uns darauf, so viele von Ihnen zu treffen.

Es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt;

Zu Weihnachten gehören für sehr viele Menschen in unserem Stadtteil nicht nur Tannenbaum und Plätzchen, Familientreffen und Geschenke, sondern für sie ist wichtig: Gott selbst kommt zu ihnen, sie zu retten.

Derhalben jauchzt, mit Freuden singt:

Das wollen Sie feiern – auf ganzverschiedene Weise. Manche sagen: „Es ist wundervoll, in der bis zum letzten Quadratzentimeter mit weihnachtsfrohen Menschen angefüllten Kirche zu singen und zu feiern.“

Gelobet sei mein Gott,
mein Schöpfer reich von Rat.

Wenn sie die Freude mit so vielen teilen, sehen, wie Kinder aus der Kita und den Chören bei der Aufführung ihres Krippenspiels strahlen, dann spüren sie die erhellende Kraft der Weihnachtsbotschaft.

Er ist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit;

Andere wollen zu Weihnachten nachdenken, was in ihrem Leben wirklich wichtig ist.

All unsre Not zum End er bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Heiland groß von Tat.

Wie sich die Weihnachtsbotschaft konkret auf das Leben auswirkt.

O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat. Wohl allen Herzen insgemein, da dieser König ziehet ein.

Was sich im Licht des kommenden Gottes in der Gesellschaft ändern muss.

Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich lauter Freud und Wonn.
Gelobet sei mein Gott, mein Tröster früh und spat.

Und was schon dadurch anders wird, dass man es im Vertrauen auf Gottes Beistand betrachtet und angeht.

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, eu‘r Herz zum Tempel zubereit‘.
Die Zweiglein der Gottseligkeit steckt auf mit Andacht, Lust und Freud;

Diese Menschen suchen eher die leiseren Töne, Stille und Kerzenlicht.

So kommt der König auch zu euch, ja, Heil und Leben mit zugleich.
Gelobet sei mein Gott, voll Rat, voll Tat, voll Gnad.

Für all diese verschieden Wünsche soll es bei uns Platz geben: Gott kommt zu uns mit seiner beseelenden Klarheit, seiner verwandelnden Kraft und trostbringenden Nähe.

Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist.

Wir öffnen die Tür unserer Kirche für Sie zu Gottesdiensten ganz verschiedener Art, damit Sie einen Ort finden, an dem Sie die Tür Ihres Herzens öffnen können.

Ach zieh mit deiner Gnade ein; dein Freundlichkeit auch uns erschein.

Dass Gott wirklich kommt, zu jedem von uns, an diesem Weihnachtsfest, in unsere Herzen, das können wir nicht organisieren, das liegt außerhalb unseres Zuständigkeitsbereiches.

Dein Heilger Geist uns führ und leit
den Weg zur ewgen Seligkeit.
Dem Namen dein, o Herr,
sei ewig Preis und Ehr.

Aber die gute Nachricht ist: Gott ist schon gekommen! Das feiern wir ja gerade an Weihnachten. Er ist bei uns. Das gilt über das kurze Erdenleben des Jesus von Nazareth hinaus bis heute und für immer.

Eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit!
Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 03/2018 – 9. November – wofür wir jetzt einzutreten haben
 

09. November – 

Wofür wir jetzt einzutreten haben

Ist nun bei euch Aufmunterung und Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit, so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht an das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht. (Phil 2,1-5)

Der Apostel Paulus schreibt dies vor bald 2000 Jahren an eine Gemeinde in Philippi. Ich gebe diese Worte hier weiter, weil sie mich den Sommer hindurch beschäftigt haben, wenn mich beunruhigt hat, was wir z. B. am 9. November besonders zu bedenken haben:

1918 führten die Ereignisse seit dem 9. November zurBildung der ersten deutschen Republik. 1938 verwüsteten und misshandelten unzählige Deutsche in der Pogromnacht jüdische Kultur und jüdisches Leben, der gesellschaftliche Terror gegen jüdisch Deutsche wurde auf einen ersten Höhepunkt getrieben. Im Jahr 1989 wurde am 9. November die innerdeutsche Grenze geöffnet. Die Institutionen freiheitlicher Demokratie konnten fortan in beiden ehemaligen Teilen Deutschlands eingerichtet werden, in der nun größer gewordenen Bundesrepublik.

Was beunruhigt? Jüdische Menschen und jüdisches Leben erfahren wieder mehr und mehr Ablehnung. Dem freiheitlichen Parlamentarismus, in dem die Meinung des anderen geachtet, die unterschiedlichen Positionen ausgetauscht und abgewogen werden tritt deutlicher als bisher eine Haltung entgegen, die alle anders Denkenden als Gegner betrachtet, die bekämpft werden müssen. Es ist eine Feind-Seligkeit, die sich nicht in Frage stellen lässt, und dem Abwägen und der Abstimmung das Durchgreifen entgegenstellt.

Wir sind von starken Staaten umgeben, in denen mittlerweile Autokraten für diese Regierungsweise Unterstützung finden. Der Geist, der hier weht, gefährdet unsere freiheitliche Demokratie, Minderheiten werden in Autokratien stets benachteiligt oder bekämpft, der Rechthaber kann nichts tolerieren. Aber: Gibt es eine Form der Regierung und der Gesellschaft, für die evangelische Christen eintreten müssten? Ist es eine repräsentative Demokratie, in der Meinungsfreiheit herrscht? Oder eher eine autoritär geführter Staat? Über lange Jahrhunderte haben sich auch die evangelischen Kirchen mit Monarchie und Despotismus nicht nur arrangiert, sondern haben sie durchaus unterstützt und sich (vermeintlich) unterstützen lassen.

Mittlerweile sind die evangelischen Kirchen selbst nach Art repräsentativer Demokratien und längst nicht mehr hierarchisch verfasst. Das ist sachgemäß und entspricht dem Evangelium. Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht. Wenn Jesus eines nicht war, dann ein Machthaber. Seine Haltung war die des gut Zuredens, der Aufmunterung und Ermahnung, des Trostes, der herzlichen Liebe und Barmherzigkeit. Das heißt: er ließ sich das, was den anderen bewegt, in seinem Innern angehen, er machte es sich zu eigen, machte dessen Bedürftigkeit und Interesse zu seiner eigenen Sache. Und das tat er als Gott mit dem Menschen. Die Bibel nennt das „Demut“, ein Wort, das für uns nach Selbst-Erniedrigung klingt, aber in seinem Kern „Diene-Mut“ bedeutet, einen Haltung des Selbstbewusstseins, das die Größe hat, für den anderen da zu sein.

In Demut achte einer den andern höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Eine solche Haltung ist heute gesellschaftlich schon am besten in einer freiheitlichen Demokratie verwirklicht. Wer Meinungsfreiheit lässt, weiß nämlich um die eigene Begrenztheit, er weiß, dass er die Sicht der anderen braucht, dass diese berechtigt ist, und die Positionen untereinander abgestimmt werden müssen. Sie fragt nach den Beweggründen der anderen, sie hört hin und achtet. Dieser gegenseitige Dienst in der freiheitlichen Demokratie ist das Gegenteil zur Macht der Rechthaber. In dieser Haltung wissen wir um das Recht der anderen und der Bedürftigen, und wir schützen sie.

Was wir in dieser Weise der Gesellschaft zu geben haben, wofür wir einzutreten haben, ist nichts Kämpferisches, eher etwas Nachdenkliches und eine vorsichtige Haltung, aber eben auch ein Bezugspunkt des Glaubens in der tiefen Beunruhigung: Lassen Sie diesen Text des Paulus einmal oder auch mehrmals in sich klingen. Er kann eine Meditation sein, in der uns Gott an sich nimmt und in der Demut stark macht.

Herzlichst,
Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 02/2018 – #MeToo: Batseba
 

#MeToo: Batseba

Machtmissbrauch in der Bibel (siehe Titelbild)

Der Täter steht auf der Dachterrasse links oben im Bild. Die Nachbarin am Pool ist schön; ihr Mann, ein Offizier, ist im Auslandseinsatz. Der Gaffer lässt sie holen. Er ist der König, sie wird sich nicht erwehren können. Er nimmt sie, er schläft mit ihr, es ist widerwärtig.

Er ist nicht irgendwer. Er ist David, der königliche, von Gott begabte Mann, der Gesalbte, der Held und Herrscher des Volkes Gottes schlechthin. Nach ihm wird über Jahrhunderte das Königshaus heißen, selbst Jesus von Nazareth wird, so sagt es der Engel seiner Mutter Maria, „den Thron seines Vaters David“ besteigen (Lukas 1,32). Der missbraucht seine Macht, in der er eine Frau einfach holen lassen kann, und tut ihr Gewalt an, bringt sie überdies in größte Schwierigkeiten, denn sie, die verheiratete Frau, wird schwanger von ihm (2. Samuel 11,1ff). David „löst“ das Problem am Ende auf skrupellose Weise: Er sorgt dafür, dass Uria, der Ehemann, im Kampf erschlagen wird. Aber das ist ein anderer schlimmer Teil der Geschichte.

Batseba lässt er als weitere Ehefrau in seinen Harem holen. Das Kind, das sie zur Welt bringt, stirbt, und schließlich wird sie die Mutter des Thronfolgers und späteren Königs Salomo. Soviel Missbrauch trägt die Geschichte der Könige des Volkes Gottes in sich (und da wäre noch mehr).

Warum erzählt die Bibel davon? Warum ist so eine abstoßende Geschichte Teil unserer Heiligen Schrift? Der Prophet Nathan kommt bald zu David und verurteilt sein Handeln auf das Unmissverständlichste (2. Sam. 12). Die Geschichte ist eine warnendes Beispiel: So soll es nach Gottes Willen und auch nach Eurem Gerechtigkeitsgefühl auf keinen Fall sein!

Aber es geht noch um mehr. Die Tat ist nämlich kein Fehltritt, den man sich bei dem klugen, frommen David gar nicht erklären könnte. Dieser Mann steht durchaus auch für ein pöbelndes, sexualisiertes Männerbild. Von Goliath, den der kleine David überwindet, wird eigens erwähnt, dass „der Schaft seines Spießes wie ein Weberbaum“ war (1. Sam. 17,7), und als David um Sauls Tochter wirbt, bescheidet der ihm: „Der König begehrt keinen anderen Brautpreis als hundert Vorhäute von Philistern.“ (1. Sam. 18,25) Es ist widerwärtig, in höchstem Maß irritierend, und wir müssen davon reden. Die #MeToo-Bewegung fordert es heraus, und zwar mit Recht, wie wir hier sehen, mit einem heiligen Recht. Die Heilige Schrift konfrontiert uns mit dem Wissen, dass dies in den Möglichkeiten von Männern liegt: eine Machtstellung sexuell auszunutzen.

Kunstwerke wie das Titelbild zeigen oft: Batseba ist schön, erotisch anziehend, sie wird vom Boten galant umworben, es wirkt wie ein schöner Moment zwischen den beiden. Auch der Hund, das triebhafte Wesen, wirkt fein und elegant. Das alles ist die andere Seite, die David zu respektieren hätte. Diese feine erotische Atmosphäre klingt auch im Bibeltext an: „Es begab sich, dass David um den Abend aufstand und sich auf dem Dach des Königshauses erging; da sah er vom Dach aus eine Frau sich waschen; und die Frau war von sehr schöner Gestalt.“ (2. Sam. 11,2) Man kann die Kraft spüren, die von dem Augenblick ausgeht, man kann Davids Begehren verstehen. Aber was macht David? Er respektiert diese Kraft nicht, er bemächtigt sich der Situation, er wird zum Täter, im Bild: zum finsteren Befehlsgeber auf seinem Balkon. In der Darstellung eines Wormser Kirchenfensters kann er sogar beides zugleich: Batseba küssen und ihren toten Mann mit Füßen treten.

Man könnte einwenden, dieses Titelbild selbst sei ein Missbrauch, in die Darstellung eines sexuellen Übergriffs gehöre kein Moment schöner Erotik. Ich glaube aber, dass das Beispiel Davids die Männer lehrt, dass Begehren und Leidenschaft zu respektieren und zu dulden sind, im besten Fall auch zu genießen, dass sie zu nehmen sind als Kraft, die uns ergreift, dass sie im Spiel sein können, ohne dass er sich ihrer bemächtigen muss, was sonst nämlich dazu führt, dass er sich der anderen oder des anderen gewalttätig bemächtigt. Vorerst gebieten uns solche Geschichten, auf #MeToo zu hören, ernst zu nehmen, was erzählt wird, uns selbst in unserer Macht zu befragen und alles dafür zu tun, dass nicht alles, was leider in unseren männlichen Möglichkeiten liegt, sich Bahn bricht. David bereut seine Taten am Ende zutiefst. Er beweint sein sterbendes Kind, er wendet sich Batseba zu, und es heißt dann: „Als David seine Frau Batseba getröstet hatte, ging er zu ihr hinein und wohnte ihr bei. Und sie gebar einen Sohn, den nannte er Salomo.“ Auch dies ist David, dieser von Gott begabte Mensch.

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 01/2018 – Trinität: Das Geheimnis vom dreifaltigen und dreieinigen Gott.
 

Trinität: Das Geheimnis vom dreifaltigen und dreieinigen Gott.

„Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen… und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn. … Ich glaube an den Heiligen Geist… .“ So heißt es im apostolischen Glaubensbekenntnis, das Christen überall auf der Welt jeden Sonntag sprechen. Juden beten im Schma Jisrael, dem zentralen Gebet: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einzig.“ (Dtn 6,4), und im Glaubensbekenntnis der Muslime heißt es: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Gott gibt.“

In unserem Glaubensbekenntnis aber kommen drei vor: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist! Kein Wunder, dass Muslime und Juden wenig anzufangen wissen mit dem christlichen Gedanken der Trinität Gottes.

Die Lehre von der Dreieinigkeit oder auch Dreifaltigkeit Gottes findet sich so nicht in der Bibel. Sie entstand in der frühen Kirche als ein Rückschluss vom Wirken Gottes auf sein Wesen. Auf dem Titelbild unseres Gemeindebriefes sehen Sie ein Gemälde aus dem Chorgewölbe einer mittelalterlichen Dorfkirche in Mecklenburg. Die ursprünglich im 14. Jahrhundert entstandenen Malereien wurden 1894 erneuert. Dabei wurde eine mittelalterliche Darstellungsweise für die Trinität übernommen: Gott, der Schöpfer, mit weit ausgebreiteten Armen umschließt und trägt seinen gekreuzigten Sohn Jesus Christus. Er präsentiert ihn sozusagen der Gemeinde, die sich zum Altar hinwendet, und scheint zu demonstrieren: Mein geliebter Sohn – für Euch. Aber beim Betrachten dieses Bildes kommt nicht zuerst die Frage auf, was das für ein Gott ist, der seinen eigenen Sohn einen grausamen Opfertod sterben lässt. Denn es wird sichtbar: Gott selbst ist es, der das erleidet.

Seine Arme halten das Gewicht des Kreuzes. Sein Gesicht gleicht trotz der geöffneten Augen dem seines toten Sohnes und zeigt in sich versunkene Trauer. Alle drei, auch die in der Gestalt einer Taube herabkommende Geistkraft, tragen einen eigenen Heiligenschein: Dreifaltigkeit, drei Seinsweisen Gottes. Aberalle drei zusammen sind eingefasst in einen mandelförmigen Rahmen: eine Mandorla, eine Aura des Heiligen umgibt sie. Eines Wesens sind sie. Gott demonstriert auf dem Bild: Ich selbst für Euch und mit Euch in allem, sogar in Leid und Tod. Wenn Gott so dargestellt wird, dann geschieht das nicht, um zu sagen, dass Gott genau so aussieht.

Das können wir nicht wissen und es steht, wie gesagt, auch nicht in der Bibel. Die Lehre von der Trinität ist nicht das Wort Gottes, aber – so drückt es der Theologe Karl Barth aus (vgl. Kirchliche Dogmatik I/1, Zürich 1947, 404) – sie dient dem Dienst am Wort Gottes, weil sie auf die Frage nach Gott als dem Subjekt seines Wirkens, seiner Offenbarung, antwortet: Gott ist „Einer und doch nicht allein (…) Alle Fülle der Tat und Gemeinschaft ist in ihm selber“ (K. Barth, Dogmatik im Grundriss, Basel 1947, 81998, 50). Das erkennen wir daran, dass wir durch die Geistkraft Gottes in diese Gemeinschaft einbezogen werden.

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen!“
(2. Kor 13,13)

So grüßte damals der Apostel Paulus die Gemeinde in Korinth, und so grüßen heute noch Pastoren ihre Gemeinde von der Kanzel. Dreifaltig wird durch diesen Gruß das Wirken des einen Gottes beschrieben. So schwer dies Geheimnis zu verstehen oder gar zu erklären ist, so unverzichtbar ist es für unseren Glauben.

Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 04/2017 – Heilige Mutter Gottes!
 

Heilige Mutter Gottes!

Die Jungfrau Maria – ist die nicht eher für Katholiken … oder für Gläubige, denen Rationalität und Naturwissenschaft gleichgültig sind?

Das Jahr des Reformationsjubiläums geht zu Ende. Wir haben daran gedacht, was uns als Evangelische Kirche ausmacht. Es war aber auch ein Jahr der Ökumene. Römisch-Katholische und Evangelisch-Lutherische Kirche haben betont, was sie gemeinsam haben.

Im Advent legt sich nah: Maria. Wir bereiten uns im Advent auf das Weihnachtsfest vor, da geht es um die Menschwerdung Gottes in der Geburt Jesu; und wer verkörpert dieses Warten auf das Kommen Gottes mehr als seine Mutter, Maria?

Überraschend für uns Lutheraner mag sein: Martin Luther selbst beschäftigt sich ausführlich mit Maria und schreibt über sie eines seiner damals bekanntesten Bücher, und zwar in einem Jahr, in dem es für ihn hoch her geht. Im Jahre 1521, vier Jahre nachdem seine 95 Thesen sein neues Glaubensdenken rasant in die internationale Öffentlichkeit gebracht haben, nachdem er literarisch nachgelegt und auch dem Papst in Rom die Stirn geboten hat, muss er in Worms auf dem Reichstag vor Kaiser Karl V. erscheinen. Hier wird er beharren, dass er nicht widerrufen könne, weil sein Gewissen von der Heiligen Schrift überzeugt sei; „Ich kann nicht anders / hier stehe ich / Gott helfe mir / Amen“, wird man seine Schlussworte wiedergeben. In diesem Jahr schreibt er, erst noch in Wittenberg, später als „Schutz-Gefangener“ auf der Wartburg, über Maria, als habe er jede Zeit und Muße, das Geheimnis ihres Daseins zu meditieren.

Wie er dies tut, mag für evangelische Ohren zunächst „katholisch“ klingen. Von der „hochgelobten Jungfrau Maria“ (alle Zitate aus: Calwer Luther-Ausgabe, hg. von Wolfgang Metzger, Stuttgart 1979, Bd. 9, 23) spricht er und von „Gottes Mutter“ (ebd.). Er meditiert aber ihre Worte, ihren Lobgesang, der Lukas 1,46 – 56 überliefert ist, und dies nun in einer sehr lutherischen Weise. Die Frömmigkeit und Lehre, die späten Legenden über Maria hatten nämlich darauf abgehoben, Gott habe sie wegen ihrer besonderen Heiligkeit ausgewählt, sie sei im Tempel aufgewachsen und erzogen worden, unberührt und im Gebet.

Luther entnimmt ihrem Lobgesang etwas anderes: „Denn er hat angesehen die Nichtigkeit, die Niedrigkeit seiner Magd.“ (Lukas 1.48). Er betont, sie sei auch nicht besonders „demütig“, sie schätze sich bloß als nichts Besonderes ein, „als verachtetes, geringes Mägdlein ohne Ansehen“ (47). Eine Besondere wird Maria durch Gottes Blick: „Als das erste Werk Gottes an ihr bekennt Maria, es sei das ‚Ansehen‘. Das ist aus das größte … Denn wo es dahin kommt, daß Gott sein Angesicht jemand zuwendet, da ist lauter Gnade und Seligkeit, da müssen alle Gaben und Werke nachfolgen.“ (52) Was folgt: „Niemand ist ihr gleich, weil sie mit dem himmlischen Vater eine Kind hat, und zwar ein solches Kind … In einem Wort hat man darum alle ihre Ehre zusammengefasst, wenn man sie nämlich ‚Gottes Mutter‘ nennt“ (59).

Das bedeutet: Im Ansehen unserer Niedrigkeit kommt Gott zur Welt, zu uns. Nichts ist evangelischer und nichts katholischer als dieser Blickwinkel auf unser Leben, in dem sonst nur der Blick auf das Hohe, Gelungene, Reiche, Erfolgreiche etwas gilt, uns bestätigt oder herausfordert. Wir wissen wie gnadenlos dieser Blick sein kann. Maria wird an anderer Stelle genannt: „gratia plena“, voller Gnaden, begnadet.

Eine gnadenvolle Weihnacht wünscht Ihnen

Pastor Dr. Kord Schoeler

 

Angedacht 03/2017 – Selber glauben
 

Selber glauben

 Unsere Feier zum 500. Reformationsjubiläum

Selber zu glauben, das war zu Luthers Zeiten keine Selbstverständlichkeit. Zwischen Gläubigen und Gott stand die Kirche und sah sich befugt, über die Zuteilung der Gnade Gottes zu entscheiden. Martin Luther hatte aber beim Lesen der Bibel entdeckt: Der Glaube an das Evangelium macht die Menschen gerecht (Röm 1,16f). Da braucht es keinen Papst, keine Ablassbriefe. Diese Gewissheit veränderte sein Leben. Aber nicht nur seins:

Die ganze Welt hat Luthers Erkenntnis verändert. Als er am 31. Oktober 1517 die 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlug, war er sich bewusst, dass ihm das eine Menge Ärger einbringen würde. Er tat es trotzdem. Was motivierte ihn? Selber glauben macht frei: Frei von gesellschaftlichen und religiösen Zwängen, frei von der Herrschaft des Gesetzes. Aber selber glauben macht auch verantwortlich, denn kein Papst und kein Konzil schrieben ihm jetzt mehr vor, was er tun sollte. Nur der Bibel und seinem durch die Worte Gottes gefangenen Gewissen fühlte er sich verpflichtet, als er sich auf dem Reichstag in Worms weigerte, seine Lehren zu widerrufen.

Wir evangelischen Christen stehen auch heute noch in der Verantwortung, Lebensentscheidungen auf der Grundlage der Bibel und unseres Gewissens zu treffen. Manchmal ist das schwer. Oft sind wir uns gerade im öffentlichen Bereich nicht einig. Das wurde im Juli diesen Jahres deutlich, als evangelische Christen sich sehr verschieden zum G20-Gipfel in Hamburg positionierten.

Bibelworte, die man in diesem Zusammenhang zitieren kann, gib es viele: „Tu deinen Mund auf für die Stummen!“ (Spr 31,8), „Jedermann sei untertan der Obrigkeit!“ (Röm 13,1). Dass in vielen gesellschaftlichen und politischen Fragen keine Einigkeit herrscht, ist wohl der Preis des „Selber Glaubens“.

Sich gegenseitig Untätigkeit und mangelnde Zivilcourage oder aber ein Fördern des Vandalismus und der Anarchie vorzuwerfen, lenkt den Blick weg von dem, was „Selber Glauben“ eigentlich bedeuten kann: Eine ganz neue, ganz andere Art zu leben, nämlich trotz aller Ungewissheit und Uneinigkeit schon jetzt in Hoffnung auf Gottes kommende Welt und schon jetzt im Vertrauen auf Gottes Liebe, die allen Menschen gilt. Am Sonntag nach G20, als die ganze Stadt den Atem anzuhalten schien, haben wir in der Gemeinde unser Sommerfest gefeiert.

„Geh aus, mein Herz und suche Freud“, das im 30-jährigen Krieg entstandene Lied über die Natur als Sinnbild für die Zuwendung Gottes zu den Menschen, stand im Zentrum: Gott sorgt für uns, darum müssen wir uns keine Sorgen machen. Das bedeutet nicht, dass wir uns weltfremd der Verantwortung entziehen sollen. Die Aufgabe, Position zu beziehen und die Bibel und unser Gewissen immer neu zu befragen, kann uns keiner abnehmen. Aber es bedeutet, dass wir die Hoffnung und das Vertrauen haben dürfen, dass die Welt zu einem guten Ziel kommt.

Der Spruch: „Wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen,“ stammt wahrscheinlich gar nicht von Martin Luther, aber wenn wir im Herbst zwei Apfelbäumchen pflanzen, müssen wir uns dafür auch nicht auf ihn berufen. Schließlich können wir selber glauben!

Während des Sommerfestes haben die Bäume in unserer Kirche gestanden und wurden mit Fürbitten der Besucher geschmückt, als Zeichen der Hoffnung und des Glaubens.

Was glauben Sie? Was befreit Sie und macht Ihnen Mut zum Handeln? Feiern Sie mit uns 500 Jahre Reformation als Austausch darüber, was „Selber glauben“ bedeutet.

Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 02/2017 – Zwischen Hass und Liebe – Reformation

Zwischen Hass und Liebe – Reformation

Am Anfang der Reformation standen große Gefühle. Sicher auch: biblische Einsichten, Gebet und Machtkämpfe. Aber bei Martin Luther begann es mit Liebe und Hass.

1545 erzählt er davon, wie ihm erstmals einleuchtete, was für ihn alles entscheidend war und blieb: dass Gott Menschen aus Gnade im Glauben gerecht macht.

„Gerechtigkeit Gottes“ war der Begriff, an dem er sich damals abarbeitete. Er las davon im Römerbrief, Gerechtigkeit Gottes offenbare sich im Evangelium (Römer 1,17). So fremd das auf uns wirken mag, Luther ließ es nicht kalt. Im Gegenteil: „Ich hasste nämlich dieses Wort!“ Und er hasste auch gleich den „gerechten und den Sünder strafenden Gott.“ Luther findet schon angesichts der Gebote, er könne diesen nie „gerecht“ werden und müsse mit Strafe rechnen, und er meint zu seiner Verzweiflung, Gott wolle „ durch das Evangelium auf den alten Schmerz neuen Schmerz häufen und auch durch das Evangelium uns seine Gerechtigkeit und seinen Zorn drohend entgegenhalten!“ Wenn er Hass schreibt, meint es Luther ernst: „So raste ich mit wütendem und verstörtem Gewissen.“

Irgendwann liest er weiter: „Die Gerechtigkeit Gottes wird darin offenbart, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus dem Glauben“ (Römer 1,16) – da begann ich die Gerechtigkeit Gottes verstehen zu lernen als die Gerechtigkeit, in der der Gerechte aus Gottes Geschenk lebt, und zwar aus Glauben.“ Er versteht die Gerechtigkeit, „durch welche uns der barmherzige Gott gerecht macht“.

Den Gefühlsmenschen Luther reißt diese Erkenntnis hin: „So groß vorher mein Hass war, womit ich das Wort „Gerechtigkeit Gottes“ gehasst hatte, so groß war jetzt die Liebe.“

Man versteht das, wenn man liest, worum es für ihn geht: „Hier fühlte ich mich völlig neugeboren.“ (Luther an allen Stellen zitiert nach Heinrich Fausel: D. Martin Luther. Leben und Werk 1483 bis 1521. Band 1, Stuttgart 2008, 56f). Wer sich neugeboren fühlt, war im Gefühl dem Tod zumindest nah. Ihm geht es nicht um oberflächliche Selbsterkenntnis, ihm geht es um Entscheidendes: Ich bin etwas oder bin nichts, ich fühle mich lebendig oder abgestorben. Was belebt oder abtötet, das lässt einen lieben oder hassen.

Für Luther entschied sich das „vor Gott“. Uns reicht oft schon das Forum der anderen Menschen. Was sind wir da, was geben wir für ein Bild ab, wie „kommen wir rüber“, wie ist unser Image? Like oder dislike? Ruf und öffentliche Meinung können nicht erst heute, in Zeiten digitaler Netzwerke, beleben oder zum bürgerlichen „Tod“ führen. Wir hängen innerlich an dem Bild, das wir abgeben vor den anderen, es macht aus, was wir sind, und dringt tief in unsere Seele ein. Es kann ihr gut tun oder sie zerreiben. Ob das gerecht ist? Das fragen wir nicht.

Barmherzig jedenfalls ist das Forum der anderen Menschen selten.

Insofern ist es schon verlockend, sich vor Gott zu denken und zu fühlen, in der Beziehung zu ihm. Es ist die gründlich gnädige, beschenkende Beziehung schlechthin, in der wir uns beseelt und neugeboren fühlen, ohne irgendetwas aus uns gemacht zu haben. Gerecht!

Zum Lieben!

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 01/2017 – Für Täter um Vergebung bitten?

Für Täter um Vergebung bitten?

Die Passionszeit beginnt in diesem Jahr genau mit dem 1.März. Ab Aschermittwoch denken Christen weltweit in den sieben Wochen vor Ostern an das unschuldige Leiden Jesu Christi und gleichzeitig auch an all die anderen Menschen, die bis heute unter willkürlicher Gewalt und Hass leiden müssen.

In diesem Jahr sind dabei besonders auch die Opfer des Terrors im Blick. Menschen, die auf der Flucht vor dem Islamischen Staat nach Deutschland gekommen sind, aber auch die, die von Terroranschlägen wie dem auf dem Berliner Weihnachtsmarkt betroffen sind.

Das 1577 für den Altar der Kathedrale von Toledo gemalte Bild des Künstlers „El Greco“ auf der Vorderseite des Gemeindebriefeszeigt, wie Jesus – umringt von schwer bewaffneten Soldaten aber auch von Schaulustigen – kurz vor seiner Kreuzigung entkleidet wird.

Wie aus einer anderen Welt wirkt Jesus in seinem königlich-karmesinroten Gewand. Den Blick zum Himmel gerichtet und die Hand auf dem Herzen scheint er gerade im Gebet versunken zu sein. Was er wohl mit seinem Vater bespricht?

Im Lukasevangelium sagt Jesus bei seiner Kreuzigung zu seinem Vater: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34). Allerdings fehlt dieser Satz in verschiedenen wichtigen, alten Handschriften. Warum? Wurde ihm das nachträglich zugeschrieben? Oder erregten diese Worte Anstoß?

In der Tat sehen Jesu Peiniger auf dem Bild nicht so aus, als würden sie nicht wissen, was sie tun. Vielmehr scheinen sie es ganz bewusst und sogar mit Genuss zu tun. Anzügliche Blicke und wie Klauen ausgesteckte Hände bedrängen Jesus von allen Seiten.

„Segnet, die euch verfluchen; bitte für die, die euch beleidigen“(Lk 6,28). Dazu hatte Jesus seine Anhänger aufgerufen. Und jetzt bittet er selbst für die, die ihm Gewalt antun- und stirbt dann durch ihre Hand. Kann es Gottes Wille sein, dass Menschen, die anderen mutwillig Leid zufügen und sie sogar töten, vergeben wird? Vielfach werden Christen dafür kritisiert, wenn sie sich in ihrem Gebet nicht ausschließlich für die Opfer einsetzen, sondern auch für die Täter beten. Dies wird dann so verstanden, als würde die Schuld der Täter verharmlost und das Leid der Opfer relativiert.

Das tut Jesus aber keineswegs. Er vergibt den Tätern mit diesen Worten nicht, sondern betet für sie. In diesem Gebet schwingt die Hoffnung mit, dass auch sie erkennen, wie falsch und menschenverachtend ihre Taten waren und dass der Kreislauf des Hasses durchbrochen wird. – Eine Hoffnung wie aus einer anderen Welt? – Vielleicht.

Als Jesus schließlich gestorben ist, sagt der Hauptmann der Soldaten: „Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen!“(Lk 23,47) und das Volk schlägt sich bekräftigend an die Brust und kehrt um. Ostern feiern wir Christen den Sieg des Lebens über den Tod und der Liebe über den Hass. Wenn Menschen die Hoffnung Jesu teilen, wird sie zu einer Osterhoffnung für diese Welt.

Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 04/2016 – Eine Bildbetrachtung zu Weihachten

Eine Bildbetrachtung zu Weihachten

Aus dem Gemeindebrief 04/2016

Sie liegt da sehr entspannt: ein Bein über das andere geschlagen, leicht auf den Ellenbogen gestützt, die rechte Hand untätig gelassen. Sie schaut und lässtsich anschauen. Sie hat Ausstrahlung, einen heiligen Schein. Ebenso ruhig schläft das Kind, den Kopf fast in ihrer Armbeuge. Der Atem der Tiere, Ochse und Esel, wird das Kind, auf das sie aufmerksam schauen, wärmen.

Es ist eine heilende Szene, wie wir sie Weihnachten suchen, ein Inbild, das, wenn wir es betrachten, etwas gut sein lässt, und zwar obwohl wir uns streiten, der Beruf uns monströse Sorgen macht oder wir wieder so einsam, leer und fühllos sind.

Es ist ja auch gar nicht alles gut. So gelassen liegt Maria im Bruch des Lebens. Es tut sich um sie herum die Erde als Höhle auf, brüchige Ränder, Felsplatten, die aussehen, als könnten sie jederzeit herabfallen. Der Mann Joseph strahlt zwar auch etwas aus, aber trotz des Heiligenscheins ist es eher Müdigkeit. Er stützt seinen Kopf in die Hand, wirkt erschöpft und als fände er trotz der Erschöpfung vor Sorgen keinen Schlaf. Die Sorgen erklärt sein Blick auf die lächerlich kleine Herberge, in der sie keinen Platz hatten, er musste Frau und Kind in einen Viehunterstand bringen, und das Kind haben sie in einen Futtertrog gelegt. Notdürftig.

Ihn plagen die Sorgen, sie entspannt sich in gelassener Schönheit. Wie kommt das?

Nun, sie ahnt etwas, eine Ahnung trifft sie wie die Strahlen, die vom Stern am Nachthimmel ebenso ausgehen wie von der bewegten Zuwendung der Engel. Die Strahlen sind wirklich eine Ahnung, denn sie dringen noch nicht durch den Erdenfels zu ihr, aber die Ahnung reicht ihr wohl schon zur Gelassenheit. Was sie ahnt: Dass dieses Kind Gott-Bei-Uns ist, dass er nicht aufhören wird da zu sein, im Glück nicht und in der Mutterliebe und im Sterben auch nicht. Seinen Heiligenschein durchzieht ein Kreuz und die Höhle ist auch eine Vorahnung des Grabes. Joseph ahnt noch nichts.

Warum sitzt und liegt dieses Paar gerade so nebeneinander? Siestehen für beides, was wir an Weihnachten kennen: die schlaflose Verzweiflung am Bruch des Lebens und die Ahnung, dass es gut werde, wenn uns Gottes Lebenskraft so nahe kommt wie ein Kind, das Kind in diesem Bild und in dieser Geschichte. Vielleicht können wir uns vorstellen, dass Marias Fußspitze ihren Joseph leicht antippt und er aufsieht, so wie auf der anderen Seite des Berges der Hirte aufsieht, den der Engel auch aus einer dürftigen Lebenslage herausruft: „Ich verkündige Euch große Freude! – Kurz gesagt: Da ist ein Kind, ein Neugeborenes, und da ist Gott bei Euch.“

Wir versuchen oft, aus Weihnachten, diesem Fest, mehr zu machen als eine Ahnung. Das ist dann auch schön. Gelegentlich wird es aber auch genauso betrüblich, wie Joseph da sitzt.

Schauen wir die Frau an, die sich anschauen lässt in ihrer Gelassenheit, die Gottesmutter, und erkennen wir einen weihnachtlichen Augenblick lang, wie eine Ahnung, ein Glauben, ein Anvertrauen alles sein kann.

Eine gute Adventszeit und ein gesegnetes Weihnachtfest!

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 03/2016 – HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist

HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist

und deine Wahrheit soweit die Wolken gehen.

Aus dem Gemeindebrief 03/2016

Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes und dein Recht wie die große Tiefe.

HERR, du hilfst Menschen und Tieren.
Wie köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses,
und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.“
(Psalm 36,6-10)

Mit den Worten aus Psalm 36 begann für mich der Sommer und meine Zeit bei und mit Ihnen in der Gemeinde St. Andreas. Mein Name ist Ute Parra. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder im Alter von 18 und 14 Jahren. Schon seit 16 Jahren wohne ich ganz in der Nähe, in Lokstedt. Als Pastorin habe ich in den letzten zweieinhalb Jahren am Osdorfer Born gearbeitet.

Doch zurück zu meinem Sommerbeginn: Es war am 17. Juni, als meine Vorgängerin Frauke Niejahr und ich mit den Konfirmanden/innen eine Zelttour begannen. Vor der Abfahrt feierten wir in der Kirche noch eine kurze Andacht. In der Nähe von Plön zelteten wir dann am See, badeten, rösteten Popcorn am Lagerfeuer und genossen den Sommerabend. Wir sprachen über das Thema „Taufe“. So direkt am Wasser versteht man viel besser, was es mit dem Wasser der Taufe auf sich hat: „… bei dir ist die Quelle des Lebens“, so heißt es im Psalm. Das Taufwasser kann für uns eine Quelle lebendigen Wassers sein, weil es uns gibt, was wir zum Leben brauchen. Die Erinnerung daran, dass wir getauft sind und zu Gott gehören, kann uns helfen auf den Durststrecken und in den Wüstenzeiten unseres Lebens. Darüber haben wir mit den Jugendlichen nachgedacht.

Dieses Erlebnis und der Psalm 36 haben mich den Sommer über begleitet, auch auf meinen Urlaubsreisen ans Wasser der Mecklenburgischen Seenplatte und der Nordsee. Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann ist der Sommer schon fast zu Ende, und ich habe zum 1. September ganz offiziell als Pastorin auf der 2. Pfarrstelle im Umfang von 50% in Ihrer – in unserer – Gemeinde angefangen.

Der Sommer war für mich auch wichtig zum Umschalten zwischen den beiden grundverschiedenen Gemeinden: eine Möglichkeit, neue Kraft zu schöpfen an der Quelle des Lebens, und zusehen, wie weit eigentlich der Himmel ist und die Wolken gehen. Eine andere Quelle, aus der ich Kraft schöpfe, ist die Gemeinschaft. Ich freue mich sehr darauf, Sie kennen zu lernen und Teil Ihrer Gemeinde zu sein.

Wenn Sie Lust haben, schreibenSie mir, was Sie in diesem Sommer erlebt haben und an welchen Quellen Sie auftanken konnten. Oder Sie lassen mir per Mail oder über das Gemeindebüro ein Foto von Ihrer Urlaubsreise oder vom Sommer zu Hause zukommen. Im Gottesdienst am 9. Oktober möchte ich die Ergebnisse gern vorstellen und gemeinsam Gott danken für die reiche Ernte dieses Sommers.

Ihre Pastorin Ute Parra

Angedacht 02/2016 – Gehören wir dazu?

Gehören wir dazu?

Aus dem Gemeindebrief 02/2016
Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, beschloss die Partei AfD. Sie stemmte sich damit gegen einen Satz, den Christian Wulf bekannt gemacht hat, und der viel Gutes bewirkt hat.

Wir hingegen, das Christentum, gehörten zu den Quellen und Bestandteilen der deutschen Kulturnation. Die Kirche gehöre ins Dorf, das Christentum zu Deutschland.

Danke, aber: Wir gehören nicht zu Deutschland, wir gehören zur weltweiten Christenheit, und unseren Glauben macht es gerade aus, dass er Völker und Nationen übergreift: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“, schreibt der Apostel Paulus im Galterbrief 3,28.

Das bedeutet: Der christliche Glaube prägt zwar immer und überall, wo er gelebt wird, auch die Sprache, die Bilder, die Geschichten, die man sich erzählt, und die Art, wie man denkt und wie man feiert, also die Kultur. Immer und überall wurde und wird das kirchliche Leben auch seinerseits gestaltet, geprägt und gedeutet von der Kultur, die sonst so da ist. Man muss die Bibel übersetzen in die Sprache, in der in einer Region gelehrt, gequatscht, geflucht und gedichtet wird. Man muss Kirchen bauen mit dem Material, das eben da ist, Holz, Marmor oder Backstein. Und was als anständig galt, haben auch die frühen Christen aus der bürgerlichen Stadtgesellschaft der römisch und hellenistisch geprägten Mittelmeerwelt übernommen.

Das alles sind für den christlichen Glauben immer Einkleidungen und Nebensachen (dies gilt selbst für so epochale Kulturgüter wie Martin Luthers Bibelübersetzung). Wir fühlen uns auch als Christen in diesen gewohnten kulturellen Gegebenheiten wohl. Doch auch wenn wir damit einen Beitrag zu einer ja immer vorübergehenden Kultur leisten: Unser Glaube und unser kirchliches Leben ist nie dazu da, das Leben einer Gruppe, eines Volkes oder auch eines Kontinents im Unterschied zu anderen zu prägen und erkennbar zu machen. Diese Grenzen sollen wir gerade überschreiten und sollen verbinden. In diesem Sinn gehören wir weltweit immer zu Christus und nicht zu Deutschland oder einem anderen Land.

Das ist übrigens auch ein Grund, warum wir gut daran tun, gelegentlich einfach Gutes mitzumachen: z. B. den HSH-Nordbank-Run in der Hafencity für „Kinder helfen Kindern“. Man könnte ja fragen, ob wir da als Kirche auch ausreichend und im Unterschied zu anderen kenntlich seien. Das müssen wir gar nicht. Gutes ist gut, ob es aus dem Glauben heraus oder aus ganz anderen Gründen geschieht. Wir verlieren auch nichts, wenn wir dabei wie alle Welt Spaß haben. Kirche werden wir aus der Beziehung zu Christus und nicht durch irgendeine erkennbare Unterscheidung von anderen.

Die Kirche ist über die Jahrtausende zu Recht in ihrer Gestalt flexibel und beweglich, und deshalb auch nie dazu da, irgendeiner Kultur oder Nation die Identität zu stützen.

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 01/2016 – Skandal vor Ostern

Skandal vor Ostern

In der Mitte unseres Glaubens liegt ein Anstoß. Anstößig ist das Kreuz Jesu, Folterwerkzeug und Galgen zugleich. Was soll es für einen Glauben, der das Leben bejaht, schützen, fördern und feiern will? Allemal bei der Vorstellung, Jesus sei „für uns“, „für unsere Sünden gestorben“, winken viele ab. Wer will so einen Gott? Der so etwas nötig hat? Und wer will es mit einem Opfer zu tun haben?

Schwierig! Anstößig! Zentrum des christlichen Glaubens!?

Das war schon immer so. Das Kreuz ist in der Mitte geblieben.

Wir laden Sie in dieser Zeit vor Ostern 2016, in der Passionszeit, ein, wieder hinzuschauen, in einer künstlerischen Aktion, von der ich später noch schreiben werde, und jetzt auf das Titelblatt. Tod und Folter scheinen weit weg zu sein, die Dornenkrone schmückt Jesus wie ein Blumenkranz, und er streckt seine Hände ruhig tastend nach dem Kreuz aus, als wolle er es begrüßen und erst einmal vorsichtig über dessen Oberfläche streichen. Seine Augen schauen groß, konzentriert, auch versonnen, hellwach und offen. Die Züge seines Gesichts sind gespannt und entspannt zugleich.

Hingegen der Soldat plagt sich ab mit der Last, die nicht die seine ist. Seine rechte Hand krümmt sich um das Holz, aber fest halten kann er es nicht, sein Kopf verklemmt im Winkel des Kreuzes, kämpft er mit geschlossenen Augen mit dem viel zu schweren Ding.

Ab Aschermittwoch (10. Februar) ist in der St. Andreas-Kirche eine Installation des Bildhauers Axel Richter zu sehen. Zwölf Baumstämme stehen im Altarraum an der Wand, groß, roh, frisch geschlagen, schweres Holz, das nicht so bleiben kann, im Raum einer hochverfeinerten gottesdienstlichen Kultur. Die Stämme weisen aber darauf hin, dass auch dieser Raum, St. Andreas, seine Schrunden und Verletzungen hat: Der äußerst grobe und ungleichmäßige Putz befestigt seit 1951 das beim Kriegsbrand 1943 schwer beschädigte Mauerwerk. Fenster sind blindgemauert, schwungvolle Gewölberippen ausgebrochen und gekappt. Das alles kann man sehen und doch sacht und liebevoll auf diese Kirche schauen, so wie Jesu auf sein Kreuz; und jetzt lehnen wir Holz in diesen Raum, das Material, das einmal, als sie 1907 geweiht wurde, diese Kirche ausgekleidet hat, und suchen, ob uns dieser andere Blick, diese Irritation nicht dazu verhelfen kann, uns und einander anders anzusehen.

Zwei Elemente aus der Gebärde Jesu finde ich wichtig: Er macht die Augen klar und weit auf, wo man eigentlich weggucken möchte; was man nicht mit ansehen kann, fasst er ins Auge.

Dann aber, gar nicht gleich fokussiert, packt er nicht zu, sondern tastet erst einmal, vorsichtig, bedacht.

Wenn die 12 Stämme in St. Andreas so etwas mit anstoßen würden in dieser Passionszeit, wäre es gut: erstens dass wir in ein weit offenes inneres Auge fassen, was anstößig ist in unserem Leben, womit wir uns selbst und einander das Leben schwer machen, Kleinlichkeit und Verschwendung, Bosheit und Unlust, Krieg und Niedergeschlagenheit. Das alles ist ja anstößig wie das Kreuz Jesu, es verzerrt unser Image und gefährdet unser Selbstbewusstsein, doch die Stärke des Glaubens ist es, davor nicht die Augen zu verschließen. Vielmehr, das wäre das Zweite, nehmen wir diese Anstößigkeiten behutsam in die Hand, bekennen uns auch zu ihnen, entschließen uns zur Auseinandersetzung und tun womöglich Buße, das heißt: wandeln uns: Unmöglich? War das Kreuz Jesu auch.

Herzlichst, Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 04/2015 – ... this little light of mine ...

… this little light of mine …

Plötzlich habe ich einen Gospel auf den Lippen

Aus dem Gemeindebrief 04/2015

Der November ist noch ungewöhnlich warm, aber die Dunkelheit nimmt sich schon mehr und mehr vom Tag. Die Schöpfung will in eine ruhigere Zeit gehen. Ich stelle Kerzen auf. Plötzlich habe ich einen Gospel auf den Lippen: „This little light of mine – I gonna let it shine…“ In Deutschland sind in den letzten Monaten mit einer guten Willkommenskultur eine Menge Lichter angegangen. Menschen haben mit angefasst, um zu helfen. Ich glaube, viele haben dabei das Gefühl gehabt, gut geben zu können, was gebraucht wird. So wie es eben normal ist: Wenn man ein Licht hat, scheint es auch. Unser Land so licht zu sehen, ist für mich eine große Freude. Vielleicht sehen manche Engel heutzutage ja aus, wie Menschen in reflektierenden Leuchtwesten. So wie z.B. die freiwilligen BeraterInnen am Hauptbahnhof.

In der Weihnachtsgeschichte sagt ein Engel: „Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige Euch große Freude!“ Meistens zündet man ein Licht an, weil es dunkel ist. Dunkelheit schürt Furcht. Das Flüchtlingsthema bringt uns schwere Geschichten und schwierige politische Themen. Erlebnisse der Menschen, die kommen, erinnern manche von uns an Geschichten von Krieg und Flucht, mit denen auch viele deutsche Familien zu tun gehabt haben. „Fürchtet Euch nicht!“, sagt der Engel in der Weihnachtsgeschichte, der auf das Licht hinweist. Die Krippe, in der Gott sich zeigt, war vermutlich zunächst kein heller Ort. Und weil man Gott erst mal finden muss, wenn er an so abgelegenen Orten unterwegs ist, gibt es eine Menge Lichthinweise: Sterne. Engel. Und plötzlich, erzählt die Weihnachtsgeschichte, jede Menge weitere Lichter. Eltern, Hirten und Weise lassen ihr Licht für das Gotteskind scheinen. Aus Jesus leuchtet das Gotteslicht der Liebe, macht die Welt hell.

Wenn ich am frühen Abend die St. Andreaskirche betrete, sieht man die Hand vor Augen nicht – außer am Gebetslichterbaum brennt eine Kerze. Eine einzige der kleinen Kerzen reicht, damit man sich im Dunkel orientieren kann. Ein kleines Licht und solche Wirkung! Es weckt immer wieder mein Erstaunen. In der Bergpredigt ganz am Anfang erinnert Jesus die Menschen an ihre Kraft zum lichten Tun. Man soll sein Licht leuchten lassen und nicht unter den Scheffel stellen. Als Kind habe ich das als Versuch nachgebaut: Ich habe ein durchsichtiges Gefäß über eine Kerze gestellt. Fasziniert habe ich dann zugesehen, dass der Flamme wirklich das Licht ausgeht. This little light of mine – I gonna let it shine: Unser Licht leuchten lassen. So, dass der Liebe nicht die Luft ausgeht. „Du sollst…“ heißt es in der Bergpredigt. Ja, denke ich, für mich ist es ein „must have…“: Ich möchte es in meinem Leben haben. Aber nicht im Sinne eines Befehls.

Es „licht“ zu haben, Licht zu entzünden, das kommt meinem Bedürfnis nach Wärme und gelingendem Leben und klarer Orientierung entgegen. Die Mystiker erinnern daran, dass wir Gott auch in uns wahrnehmen können. Licht, das in unserer Seele ist, ungeschaffen und unerschafflich, wie Meister Eckard sagt. Wir können es ansehen, betrachten. Gott in uns und in anderen wirken sehen, strahlen. „Verrückt nach Licht“ hat Dorothee Sölle mal ein Buch mit Gedichten und Gebeten überschrieben. Mein Licht scheinen lassen, denke ich: Das wird sicherlich auch Spaß machen – und ich denke, es wird warm und gemütlich werden.

Eine gesegente Advents und Weihnachtszeit!

Ihre Pastorin Frauke Niejahr

Angedacht 03/2015 – Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn ...

Angedacht 03/2015

„Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!“

(Ev. Gesangbuch, Lied 508, Text nach Mathias Claudias, vgl. Jakobus 1,17)

Aus dem Gemeindebrief 03/2015

Liebe Leserinnen und Leser,

in den kommenden Wochen beginnt der Herbst. Nach vielen anderen Früchten werden nun die Äpfel und Birnen reif, auf dem Feld reifen Mais, Korn und Kartoffeln. Die Zeit der Ernte beginnt. Es ist eine freudige Zeit, von einem Gefühl der Dankbarkeit geprägt. Gerade beim Wachsen und Gedeihen von Pflanzen und Früchten merken wir nämlich, dass Wachstum und Gedeihen nicht zuerst in unserer Hand liegen. Vielmehr bekommen wir etwas geschenkt und können merken, dass Gott für uns sorgt. Dafür zu danken liegt dann nah. – Gleichzeitig ist der Herbst aber auch eine Zeit des Abschieds. Der Sommer liegt hinter uns und wir müssen uns von der Wärme, dem Draußensitzen, den langen Abenden verabschieden. Herbststürme kommen auf, und auch der graue November ist ein Herbstmonat, der langsam den Abschied vom zu Ende gehen-den Jahr einläutet.

Dieses Jahr trifft es sich, dass auch für mich persönlich die nächsten Wochen von Abschied und Dank geprägt sind:

Gute neun Jahre war ich Pastor an der St. Andreas Kirche im Grindel. Vom ersten September an widme ich mich nun neuen Aufgaben.

Als ich im Sommer 2006 meine Stelle antrat, die zugleich meine erste Pfarrstelle war, arbeitete ich vertrauensvoll mit meinem damaligen Kollegen Heiko Jahn zusammen. Er und viele Mitglieder des Kirchengemeinderates und Mitarbeiter der Kirchengemeinde haben mir meinen Einstieg in den Beruf als Pastor erleichtert. Manches konnte ich mir „abschauen“, manche Tradition wurde mir lebendig erklärt, viele Fragen, die die Kirchengemeinde betrafen, haben wir in St. Andreas gemeinsam besprochen. Manches lag nicht in unserer Hand, sondern ein anderer trug spürbar zum Gelingen bei. Eine glückliche Fügung war, dass ich 2007 das Jubiläum zum 100jährigen Kirchweihfest mit vorbereiten und feiern konnte. Hier lernte ich viel über die Ge-schichte der Kirche und der St. Andreas Gemeinde.

Natürlich habe ich auch eigene Vorstellungen und Vorerfahrungen in meine Arbeit an St. Andreas eingebracht. Ein besonderes An-liegen und über lange Zeit ein Schwerpunkt meines Dienstes war die Arbeit mit Konfirmanden. Mir war es dabei einerseits wichtig, die jungen Menschen mit den guten Glaubensinhalten und -traditionen bekannt zu machen und mit ihnen gemeinsam andererseits den Glauben auch mit neuem Leben zu füllen, etwa bei gemeinsam mit den Jugendlichen vorbereiteten Gottesdiensten, bei der Mithilfe der Konfirmanden bei der Kinderbibelwoche oder beim gemeinsamen Leben bei Konfirmandenwochenenden.

Ein wichtiges Anliegen war mir die Öffentlichkeitsarbeit und da-mit die Öffnung der Gemeinde zum Stadtteil Grindelviertel. Hier konnte ich mit meinen Kollegen und anderen Mitstreitern gemeinsam etwas voranbringen. Ein Ergebnis war der neue Gemeindebrief, aber auch die bessere Ausschilderung unserer Gebäu-de, die Internetpräsenz www. standreas-hamburg.de und anderes mehr gehörte dazu.

Leider resultierten einige Veränderungen im Wochenprogramm der Gemeinde allerdings auch  daraus, dass die zweite Pfarrstelle zu meinem Dienstantritt auf eine halbe Stelle gekürzt worden war und entsprechend nicht alle Angebote fortgeführt werden konnten.

Wenn ich nun die Gemeinde verlasse, so hat es auch damit zu tun, dass ich eine volle Pastoren-stelle antreten möchte, die mir und meiner Frau ein Auskommen sichert. Hinzu kommt, dass ich meine Fähigkeiten und Kompetenzen, die ich gerade bei einer Langzeitfortbildung als Gemeindeberater und Organisationsentwickler erwerbe, gern an meinem Arbeitsplatz sinnvoll einbringen möchte. Die Pastorenstelle im Kirchenkreis Hamburg Ost für Vertretungsdienste und Organisationsentwicklung, die ich im September antrete, verspricht dafür ein guter Ort zu sein.

Der Abschied von St. Andreas fällt mir nicht leicht. In diesen Tagen spüre ich auch Abschiedsschmerz, denn ich habe anfangs Pastor Heiko Jahn, später meinen Kollegen Pastor Dr. Schoeler, die Mitarbeitenden und viele Ehrenamtliche als besonders engagiert und unterstützend erlebt. Viele wichtige Erfahrungen konnte ich in St. Andreas sammeln und wer-de zahlreiche praktische Ideen und Erkenntnisse aus St. Andreas mitnehmen. So danke ich allen für die vertrauensvolle, hilfreiche Zusammenarbeit, die meinen Horizont erweitert hat.

Trotz des Abschiedsschmerzes gehe ich zugleich auch sehr beruhigt, denn ich sehe, dass die Gemeinde personell und inhaltlich stark aufgestellt ist: In unseren Gottesdiensten wird die frohe Botschaft von Jesu Auferstehung und Gottes Barmherzigkeit verkündigt, in fast jedem Hauptgottes-dienst wird das Abendmahl als Stärkung des Vertrauens auf Gott gereicht. In vielerlei Hinsicht trägt die Kirchenmusik mit Orgelspiel, Kantorei, Gospelchor und Kinderchören zum Lob Gottes und zur Auferbauung der Gemeinde bei. Im Kindergarten, in Halas Spielgruppe, im Kindergottesdienst und bei Familiengottesdiensten, bei den Kinderbibeltagen, bei den Krippenspielen und in den wach-senden Kinderchören kommen schon die Kleinsten auf sehr gute Art und Weise in Kontakt mit dem christlichen Glauben. Für unsere Senioren bieten wir verlässlich regelmäßige Gruppen und reizvolle Ausfahrten an.

Und auch der äußere Rahmen, den die Gemeinde bietet, steht gut da: Fast alle Gebäude und viele einzelne Räume der Kirchen-gemeinde wurden in den letzten Jahren renoviert und saniert. Vieles geschah eher im Hintergrund, manches davon kann man aber auch sehen, wie unsere neuen Sitzmöbel, den Kerzenbaum für persönliche Gebetsanliegen und die neue Beleuchtung des Altarraums in der Kirche.

Bei allem Stabilen und Traditionellen, das ich an St. Andreas schätze, sehe ich die Aufbrüche in den letzten Jahren sehr positiv. Jeder Abschied bringt auch etwas Neues hervor. Von daher bin ich – dann aus einer beobachtenden Position – schon gespannt auf die weiteren Entwicklungen an St. Andreas, die die nächsten Jahre mit sich bringen werden.

Ihnen allen wünsche ich Gottvertrauen und Gottes Segen um das Stärkende und Begeisternde, das Besondere und Gute, das man in der St. Andreas Kirchengemeinde mit all ihren Einrichtungen und Angeboten erleben kann, zu be-wahren und miteinander mutig weiterzuentwickeln.

Pastor Rainer Aue

Angedacht 02/2015 – Johanni – ein besonderer Tag in der Mitte des Jahres

Johanni – ein besonderer Tag in der Mitte des Jahres

Aus dem Gemeindebrief 02/2015

Auf dem Land und bei den Alten ist er noch bekannter, in der Großstadt weniger, aber manchen doch geläufig: der Johannistag am 24. Juni. An der Sommersonnenwende begehen wir den Geburtstag Johannes des Täufers, von dem erzählt wird, er sei ein halbes Jahr älter als Jesus. Nun gut, Johannes der Täufer. Näher liegt uns das Jahreszeitlich-Natürliche: Der Sommer beginnt und wird prachtvoll, die Rosen blühen, die Beeren reifen – und draußen findet man ein grünes Kraut mit gelben Blüten und feinen Geheimnissen. Hermann Hesse erzählt davon:

Goldmund hat für die Klosterapotheke Johanniskraut gepflückt. „Er blieb auf den warmen Feldkieseln sitzen, hielt sich ganz still … roch am Johanniskraut und hielt dessen Blättchen gegen das Licht, um die hundert winzigen Nadelstiche in Ihnen zu betrachten. Wunderlich, dachte er, da hat jedes von den Tausend kleinen Blättchen diesen kleinwinzigen Sternhimmel in sich gestochen, fein wie eine Stickerei. Wunderlich und unbegreiflich war doch alles …“ (Hermann Hesse: Narziß und Goldmund. Erzählung, Suhrkamp Frankfurt a. M. 1971, 75). Das ist natürlich bloßeVorstellung. Zwar sieht Goldmund richtig, ein Johanniskrautblatt ist tatsächlich übersäht von Punkten, die das Licht durchlassen. Aber zum Sternenhimmel wird das Gefüge in einem Blatt nur in unseren Augen. Wir sehen im Kleinen das Große und wundern uns. Es ist eine unserer Stärken, dass wir, was uns umgibt, „wunderlich“ finden können. Dass wir Abstand nehmen können und staunen, bemerken und sagen: Das ist doch … Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Psalm 8,4+5.

Ist diese Fähigkeit, dass wir staunen und uns wundern können, zu etwas gut? Es liegt schon im Wort: Sich-Selber-Wundern. Der Blick auf das ganz Große lenkt sich zurück auf uns selbst: Was ist der Mensch …?

Das Staunen gewährt keinen praktischen oder nützlichen Blick auf die Welt. Aber es ist der Anfang aller Kunst und allen Geistes, dass wir uns so ablenken lassen auf die Bedeutung der Dinge und ihr Geheimnis für uns.

Was ist es bei Johannes? Als er unzählige Menschen am Jordan tauft und sie in ein neues Leben fordert, kommt ihm auch Jesus von Nazareth unter. Der ist damalsnoch völlig unbekannt. Aber Johannes sieht im Unscheinbaren den Bedeutenden: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, dass ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe löse Markus 1,7. Und der da ist es, Jesus. Ich hätte es nötig, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?! Matthäus 3,14. Und ganz deutlich: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen! Johannes, 3,30.

Weil er im Unscheinbaren den Größeren sieht, größer, als er selber ist, kann er sich selbst klein sehen. Das ist Johannes.

Klein sein ist nicht schlimm. Das können wir lernen, wenn wir uns wundern über die Größe im Kleinen. Und das ist uns doch so fremd! Wir leben damit, nur größer zu werden, uns zu verbessern, den Gewinn stets zu mehren, viel darzustellen und bloß nichts einzubüßen; im Ranking gut abzuschneiden, und uns dazu noch und noch zu optimieren. – Wer staunen und sich wundern kann, begibt sich unweigerlich in die Position des Kleineren, er entspannt in der Anschauung. Das ist die Gabe des Johannes, das ist die Botschaft von Johanni auf der Höhe des Jahres, wenn der Sommer beginnt und das Licht auch schon wieder abnimmt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen! Es ist gut so.

Pastor Dr. Kord Schoeler

Angedacht 01/2015 – Nehmt einander an

Nehmt einander an,

wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. (Römerbrief 15,7)

Aus dem Gemeindebrief 01/2015

Liebe Leserinnen und Leser,
 wie geht es Ihnen mit sich selbst? – Ich hoffe, gut! 
Haben Sie sich für das Jahr 2015 etwas vorgenommen, was Sie anders oder besser machen wollen? – Nach drei Monaten sind die Vorsätze der Silvesternacht vielleicht schon wieder vergessen, vielleicht arbeiten Sie aber auch noch hart daran, sich das Rauchen abzugewöhnen oder ein bestimmtes Gewicht zu erreichen. Selbst wenn Sie keine großen Vorsätze für dies Jahr gefasst haben: In fast jedem von uns steckt der Wunsch nach Verbesserung. Könnte ich nicht etwas sportlicher sein? Könnte ich nicht meine Wohnung noch schöner einrichten? Könnte ich nicht meine Zeit noch besser nutzen?

So wird manchmal das ganze Leben als Feld betrachtet, das man optimieren kann. Neben mir selbst kommen dann auch noch andere Menschen in den Blick, die mein Leben ausmachen: meine Partnerin, meine Freunde, meine Arbeitskollegen. Könnten die nicht auch noch „besser“ sein, – interessanter, attraktiver, hilfreicher? Spätestens hier merkt man, dass diese Gedanken in die Irre führen. Der christliche Leitsatz, die Jahreslosung für das Jahr 2015 aus dem Römerbrief sagt ganz klar:

„Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ – Dieser Satz erinnert mich an eine Kernbotschaft der biblischen Schöpfungsgeschichte: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (1. Mose 1, 31) Nicht wir Menschen müssen uns vornehmen, alles gut und besser zu machen, sondern von Gott her ist ein guter Grund gelegt. Wir alle sind seine Kinder.

So können wir unsere Mitmenschen als wohl geratene Geschwister ansehen, sie annehmen, ohne ihnen gleich eine Liste mit Vorschlägen mitzugeben, was sie besser machen sollten. Auch wir selbst brauchen nicht ständig auf eventuelle eigene Defizite zu achten, sondern können vom ständigen Verbesserungsdruck befreit auch uns selbst annehmen wie wir sind.

Gott sagt uns zu, dass er uns als seine Kinder annimmt, wie wir sind. Er sieht auch unsere Schwächen und Fehler, aber das trennt uns nicht von ihm. Vielmehr nimmt Gott selbst sich in Jesus Christus unserer Schwachheit an und befreit uns zugleich davon. In der Passions- und Osterzeit spüren wir dem in unseren Andachten und Gottesdiensten in St. Andreas nach. Auch das Motto der evangelischen Fastenaktion „7 Wochen ohne“ passt gut zur Jahreslosung. Es lautet dieses Jahr „Du bist schön – 7 Wochen ohne Runtermachen.“ Weitere Informationen dazu finden Sie hier: www.7wochenohne.evangelisch.de, auch als App verfügbar.

Wenn ich also im menschlichen Miteinander nicht so sehr auf die Fehler des Gegenübers achte, sondern sie oder ihn als schönes Geschöpf Gottes annehme und schätze, dann folge ich dem Beispiel Jesu Christi und gebe damit Gott die Ehre. Schließlich bin ich überzeugt davon: Diese Annahme der anderen und meiner selbst wird Ihnen und mir gut tun.

Pastor Rainer Aue