Aus dem Gemeindebrief 03/2021

Das Ende der Dinge? – Guten Morgen

Liebe Leserin, lieber Leser,

plötzlich denke ich an Texte, von denen ich bis vor kurzem nicht gedacht hätte, dass ich so direkt auf unsere Lage beziehen könnte. Ludwig Helmbold schreibt 1563 in seinem Lied „Von Gott will ich nicht lassen“:

Auch wenn die Welt vergehet
mit ihrem Stolz und Pracht,
nicht Ehr noch Gut bestehet,
die wir so groß geacht:

wir werden nach dem Tod
tief in der Erd begraben;
wenn wir geschlafen haben,
wird uns erwecken Gott.

(Evangelisches Gesangbuch 365,6) 

Auch wenn die Welt vergehet … Wie pessimistisch! Dies ist so eine Strophe, die wir oft nicht singen und bei der Auswahl überspringen. 

Bilder und Phantasien vom Ende der Welt erschienen uns lange Zeit sehr weit weg zu sein, belanglos und unwichtig. Jetzt können wir uns etwas vorstellen. Es ist keine Frage von Optimismus oder Pessimismus, von Resignation oder Hoffnung, es drängt sich einfach auf. Wir haben erlebt, was uns zuvor undenkbar war: keine Schule, keine Reisen, elender einsamer Tod und dauernde Angst durch die Pandemie.

Dann: weggeschwemmte Häuser, verlorene Menschen und Orte in vorher idyllischen Mittelgebirgstälern, vertrocknende Wälder und Stadtbäume, Hitze und Feuer in Südeuropa. Schließlich: Das Ende der Welt, so wie wir sie bewohnen, wird vorstellbar. Der Bericht des Weltklimarats beschreibt es mit klarer wissenschaftlicher Nüchternheit.

Das alles ist jetzt oder bald. Unser Leben ist durch die Pandemie jetzt schon verändert, und es wird kaum wieder so werden, wie es bis vor kurzem war.Im Gegenteil: wenn wir überleben wollen, müssen wir unsere Lebensweise noch selbst stark verändern.

Wir erleben eine Katastrophe, eine Umwälzung: was uns bisher als unbedingt verlässlich erschien, verschwindet, hört auf, geht nicht mehr weiter.

Wenn die Welt vergehet? Was wir noch tun und lassen können, damit sie nicht vergeht, ist wichtig. Wir sollten es ernst nehmen und anpacken! Aber halten wir kurz an der Grenze, an die wir gekommen sind.

Wenn die Welt vergehet? Was ist das für eine Ton, den der Glaube hier anschlägt? Zunächst eine gelassene Wirklichkeitsnähe: nicht Ehr noch Gut bestehet, die wir so groß geacht: wir werden nach dem Tod tief in der Erd begraben; So ist das. Und dann: wenn wir geschlafen haben, wird uns erwecken Gott.

Wenn die Welt vergehet, werden wir über eine Grenze gezwungen, die wir wie nichts anderes fürchten, weil wir jenseits unserer Welt nichts erahnen oder glauben. Vielleicht müssen wir deshalb die Grenzen unserer Möglichkeiten immer weiter hinausschieben, weil uns hinter diesen Grenzen das Nichts droht.

Könnte dahinter etwas Einfaches sein? Schlafen und Aufgeweckt-Werden? Dass wir alles ganz aus der Hand geben, allen Einfluss und alle Aktivität und alles Immer-Weiter sein lassen (Schlafen), und dann auf das Liebevoll-Einfache vertrauen (Es weckt uns einer auf)?

Das wäre eine Perspektive. Beides wird in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren wichtig werden: dass wir handeln und dass wir lassen. Ich glaube: Gelassenheit können wir aus solchen lange vergessenen Bildern und Dichtungen gewinnen.

Pastor Dr. Kord Schoeler