Predigt 1. Sonntag nach Trinitatis

von Pastorin Anja Stadtland | St. Andreas Bogenstraße 06.06.2021

Predigttext zum Nachlesen

Predigt am 1. Sonntag nach Trinitatis (6. Juni 2021) zu „Jona“
von Pastorin Anja Stadtland

Liebe Gemeinde!

Erkenne Dich selbst! Der Weg zu mir selbst! Wie ich mein spirituelles Ich finde! Yoga ist im Angebot, Sternen-Deutung, der Jakobs-Weg vielleicht, Achtsamkeit und Meditation, spezi­elle Formen der Ernährung. Nicht nur Frauen-Zeitschriften greifen nach diesen Themen und bereiten sie auf in Selbsterfahrungs-Berichten und im Rahmen von Lebensberatung. Der Mensch ist auf der Suche. Nach sich selbst, nach etwas, das Sinn gibt, in sich oder über sich hinaus, das befreit vom Watte-weichen Oberflächen-Tag-für-Tag-Erleben und ei­ner beginnenden Alltagsmüdigkeit. Strohhalme auch – mehr nicht – wenn man tief drin steckt in einer Lebenskrise. Religion im herkömmlichen Sinne, verknüpft mit einer Zugehö­rigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft ist wenig repräsentiert. Höchstens noch Buddhis­mus – weit und breit gefasst. Dabei ist die Bibel eine Fundgrube von Selbst-Erfahrungsbe­richten und kann – in heutige Terminologie versetzt, Lebensberatung im umfänglichen Sinn bieten.

Heute begegnet uns Jona, heute an diesem stinknormalen ersten Sonntag nach Trinitatis. Ob wir wollen oder nicht. Jona kennen viele. Obwohl so wenig über Jona bekannt ist. Vier kurze Kapitel berichten über ihn – oder genauer über eine, die entscheidende Erfahrung seines Lebens. Ob es ihn wirklich gab? Wann er gelebt hat? Wie er gelebt hat? Weder his­torisch greifbar ist er, noch in seiner Individualität ist dieser Mensch bekannt. Und doch ha­ben wir ein genaues Bild. Ein Archetyp, fest verankert im kollektiven Bewusstsein:

Erinnerungen an eine Kinder-Bibelwoche in den Ferien: Jona und der Wal! Auf der Ankün­digung eine kindgerechte Grafik. Ein dicker Fisch, sieht eher freundlich, weniger gefährlich aus, mit charakteristischer Wasserfontäne auf seinem Kopf, im großen Bauch ein Männ­lein. Zusammengekauert oder liegend. Schlafend. Jona! Das Bild funktioniert. Es ist eines der Motive, mit denen sich für viele biographisch etwas verknüpft. Das wir im Kopf behal­ten und im Herzen bewahren. Kinderzeit – Walfischzeit. Was für eine Vorstellung: Im Bauch eines Fisches. Das Thema ist so schön plastisch. Da versucht jemand, zu fliehen. Drumrum zu kommen um das Unangenehme. Gott auszutricksen. Dieser Jemand weiß genau, was eigentlich zu tun wäre. Landet auf dem Schiff, landet dann im Wasser, landet dann im Fisch. In dem er dann endlich dazu kommt, sich mit dem, vor dem er flieht, aus­einanderzusetzen. Die beiden reden. Ein Gespräch zwischen Mensch und Gott. Gebet nennt man das auch. Friedens- und Versöhnungsgespräche. Aus der Tiefe des Walfisch-Bauches, aus der Dunkelheit des Meeres taucht der Jemand wieder auf. Alles ist gut. Und so schön einfach. Es sind ja auch nur vier kurze Kapitel, die dieses kleine Büchlein zu le­sen gibt. Am Ende von Kapitel zwei landet Jona auf dem Trockenen. Hier könnte es auch aufhören. Bis hierhin soll es heute gehen. Das Leben Jonas geht weiter, auch danach ist nicht alles in Butter zwischen den beiden, zwischen Gott und Jona. Diese Beziehung ist nicht ein für alle mal zu klären. Das ist die Botschaft von Kapitel 3 und 4. Heute der An­fang, der alles Entscheidende zwischen Gott und Mensch Jona.

Ko amar JHWH! So beginnt manche Rede Gottes. Übersetzt: So spricht Gott! So oder so ähnlich gelangt Gottes Wort an ausgewählte Menschen im Alten Testament. Die Stimme Gottes ist ganz konkret hörbar. Gottes Wort in Gänsefüßen!

Das Jona-Buch beginnt so: Die Stimme Gottes erging an Jona: „Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekom­men.“ Doch Jona will nicht. Er repräsentiert den Glaubens-Rebell oder den Gottes-Beziehungs-Flüchtling. Und es ist wirklich gut, dass es ihn gibt. Ihn, der verweigert zu kooperieren. Der vom Land verschwindet. Ich bin dann mal weg! War was? Er hält sich die Ohren zu und nimmt die Beine in die Hand. Vielleicht wächst ja Gras über die Sache. Gut, dass es ihn gibt. Er ist uns nahe. Denn es ist doch so verständlich, was er tut. Er hat ja nicht darum gebeten, sich dieser speziellen Angelegenheit anzunehmen, die ihm die Stimme Gottes übertragen will. Hat für ihn gerade keine Priorität. Er will, dass es weitergeht wie immer. Doch so einfach ist das nicht. Sein Leben ist nicht mehr normal, auch wenn er das gern hätte. Er hat die Stimme Gottes eben gehört. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Er versucht es trotzdem, sie zu ignorieren. Macht eine Schiffsreise, nur eine Schiffsreise. Doch: Es ist Flucht. Er wird bedrängt, von innen und von außen: Wer bist Du? Was willst Du? Wo willst Du hin? Die Wellen kommen, der Wind kommt von vorn. Alles kommt ins Wanken. Er reißt alle mit, nichts kommt ins Lot, er nicht, er mit der Welt nicht. Irgendwas stimmt nicht mit ihm. Und die Leute, die mit ihm unterwegs sind auf dem Schiff, spüren das: Was ist mit Dir? Jona will sich nicht auseinandersetzen. Ich bin gar nicht da. Stelle mich einfach schlafend. Doch selbst das Los, das klären soll, wer für den Sturm verant­wortlich ist, – welch ein Zufall, es bestätigt, was sowieso schon klar ist. Hier kommt einer um etwas gar nicht drumrum! Funktioniert nicht. Doch: Jona ist wirklich stur! Wenn ich nicht mehr da bin, dann ist hier oben wenigstens Ruhe: Also: Werft mich ins Meer! Raus aus dem System, um das System zu retten. Er bittet um Beihilfe zum Suizid sozusagen, lebensmüde wie er ist.

Ein Mensch in Bedrängnis, der weiß, dass das, was er hört, richtig ist, was er tun soll ei­gentlich richtig wäre, sich nicht durchringen kann, oder unter der Last der Aufgabe nicht mehr handeln kann und nur einen Ausweg sieht. Die Welt wird unerträglich, er versucht, sie zu verlassen, er landet in der allertiefste Tiefe. In der Dunkelheit des größten Säugers in Gottes Schöpfung. Der Wal nimmt ihn auf. Ein gutes Versteck. Auch das Tosen der Wel­len ist nicht mehr zu spüren. Stille, unbewegte Stille. In diesem dunklen, ausgepolsterten Raum, hinter einer dicken Speck-Schutz-Schicht kann er vergessen, wie tief er gesunken ist. Doch auch das ist wahr: Jona ist gefangen, in dieser Tiefe. Auch hier beißt die Maus keinen Faden ab. Kein Entkommen, aus der Dunkelheit nicht, aus der Tiefe nicht, aus die­ser Lebens-umfassenden, alles bestimmenden, aus der Zeit gefallenen Krise nicht.

Doch: Es gibt eine Möglichkeit. Jona nimmt das Gespräch mit Gott wieder auf. Oder an­ders: Jona richtet sein Wort an Gott. Diesem Wort an Gott, wird ein Wortwechsel mit sich selbst voraus gegangen sein. Einer der bedacht haben wird, was zurückliegt. In dem es um Einsichten und Aussichten geht. Um Frieden und dem Wunsch nach Versöhnlichem. In der Tiefe, in der scheinbar größten Distanz zur Welt, zu Gott, kommt Jona zu sich. Erkennt sich selbst, sieht tief in sein Inneres! Die Krise zeigt zwei Gesichter: verschlingende Wel­len und eine Geburt ins Leben.

Ich bin dankbar, dass es Jona gibt. Dass seine Glaubens- und Lebenskrise Einlass gefun­den hat in die Bibel. So spricht Gott! Zu uns – mit Jona. Selbsterkenntnis und Gotteser­kenntnis gehören zusammen: Finde Dich dort, wo Gott schon lange auf Dich wartet – das könnte die fettgedruckte Überschrift sein – zu steil für eine Frauenzeitschrift, aber für mich das Größte.

In diesem Sinne möchte ich schließen mit dem Gebet, das Jona an Gott richtet, im Bauch des Walfisches in den Tiefen des Meeres:

Jona 2, 3-11: Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich bis an die Kehle, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich. Aber du hast mein Leben aus dem Verderben geführt, Herr, mein Gott! Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich an den Herrn, und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel. Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade. Ich aber will mit Dank dir Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen. Hilfe ist bei dem Herrn. Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

Amen