Zur Freiheit

Predigt zum Reformationsfest am 31.10.2021

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

… wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen.

Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. (Galater 5,1-6)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Zur Freiheit! Das ist ein treffendes Motto für das Reformationsfest. Am Reformationsfest feiert die evangelische Kirche nicht sich selbst, sondern sie stellt wieder und wieder eine Erkenntnis in den Mittelpunkt: dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben (Römer 3,28). Für uns klingt das heute sperrig. „Gerecht zu werden“, ist nicht das erste, was uns einfällt, wenn wir fragen, was wir in der Kirche suchen. Aber die Frage ist aktuell. Sie lautet heute nur anders: Kann ich bestehen, so wie ich bin? Werden wir den Anforderungen gerecht? Oder unseren Träumen? Oder einem Idealbild, das wir von uns selbst haben? Ein bisschen kleiner gedacht, aber oft nicht minder plagend: Wo muss ich mich verbessern? Habe ich die Ziele aus dem letzten Entwicklungsgespräch erreicht? Was muss ich mir als nächstes vornehmen? Dass wir bestehen könnten, so wie wir sind, können wir uns ja oft gar nicht vorstellen.

Diese Fragen führen uns vor immer wieder vor Augen, wie wir zutiefst uneins mit uns sind, weit weg von uns selbst, wie wir eigentlich sein sollten und möchten. War es zu Zeiten des Paulus das Gesetz Gottes, so sind es heute eher die Anforderungsprofile und die Kommunikationsmechanismen der dauernd notwendigen Bestätigung durch Likes und viele Follower, die uns derart plagen. Dass Gott etwas von uns wollte und wir dem nicht gerecht würden – so weit geht unsere Wahrnehmung heute oft gar nicht. Die Anforderungen, denen wir uns selbst aussetzen, setzen uns oft schon schwer genug zu.

Können wir bestehen, so wie wir sind? Eher nicht! Da ist noch Luft nach oben, positiv ausgedrückt. Im besten Fall könnte das motivierend sein, zumeist ist es jedoch, ehrlich gesagt, entmutigend und deprimierend. Das Gesetz, das Ideal oder das Anforderungsprofil wären zwar gut und nützlich, könnten wir ihnen gerecht werden, setzen uns aber unter Druck, wenn wir das nicht schaffen – nehmen uns in eine unausweichliche Knechtschaft, wie Paulus es sagt. Die aus des Gesetzes Werken leben, sind wie unter einem Fluch (Galater 3,10).

Also: auch wenn uns das Gesetz und die vielen guten Ratschläge vor Augen führen, was wir alles tun und sein könnten, so führen sie uns nicht in eine Freiheit. Die Christen in Galatien, an die Paulus schreibt, sind in Gefahr, diesem Irrtum aufzusitzen. Sie überlegen, auch noch Juden zu werden, wie Jesus es war und wie Paulus es ist. Für die Männer würde das über die Beschneidung gehen, die der Predigttext erwähnt. Sie finden das offenbar vielversprechend, als Jüdin oder Jude hat mein ein klares, ausführliches Gesetz, und wenn man das hält, kann man richtig gut werden. „Bloß nicht!“, warnt Paulus, lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!  Das Gesetz würde Euch dauernd vorhalten, wie ihr ihm nicht gerecht werdet.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Was ihr seid und wie ihr euch sehen könnt, ist unabhängig vom Gesetz. Gott legt es in euch hinein durch die Art, wie er euch sieht. Uns selbst zu sehen, wie ein unendlich Größerer und Liebevoller uns sieht, das ist Glaube. Es löst und macht frei. Mit Paulus Worten: Da nun der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister (des Gesetzes). Denn ihr seid alle durch den Gauben Gottes Kinder in Christus Jesus (Galater 3,25f). Zu glauben bedeutet in diesem Sinn: zu sein, was Gott in uns hineingelegt hat in seinen Augen.

Gesetze, Ideale, Ratschläge und Anforderungen werden dadurch nicht nutzlos. Im Gegenteil: sie können gut sein, sofern sie nützlich sind. Sie nagen nicht mehr an unserem Selbstbewusstsein, aber wir können sie möglicherweise anwenden und – eben zum Guten nutzen. In Christus Jesus gilt kein Gesetz, gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Was wir tun, macht uns nicht aus; sondern was wir sind, ist eine Gnade – das ist unser Glaube. In diesem Selbstbewusstsein können wir tätig werden, in der Liebe, d. h. orientiert am anderen Menschen, an dem, was er oder sie braucht, und nicht orientiert an irgendeiner Gesetzmäßigkeit, der wir gerecht werden müssten, damit wir gut dastehen.

Diese Erkenntnis feiern wir am Reformationsfest, und sie gilt mit Recht als das Wichtigste, was die Kirche zu sagen hat. Sie berührt unsere Person im Innersten und setzt uns frei.

Bleiben Sie behütet!

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler