… Als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund.

(Johannes 19,28-29)

Mich dürstet – mich dürstet nach Nähe, nach Umarmungen, mich dürstet danach, mit dir Arm in Arm durch den Park zu spazieren, zu sehen, wie das Sonnenlicht auf deine Augen fällt und sie zum Glänzen bringt, mich dürstet danach, Luft zu atmen, frei von Angst.

Ich sitze am Küchentisch vor einem Glas Wasser. Es ist halbvoll, oder doch halbleer? Ich nehme einen Schluck, spüre, wie das Wasser meine Kehle hinunterrinnt. Ich blicke durchs Fenster nach draußen: Die Sonne scheint, so wie sie seit Monaten nicht mehr geschienen hat. Ich trinke noch einen Schluck Wasser. Ich habe keinen Durst mehr, ich habe ja zu trinken – und doch dürstet es mich. Es ist nicht mein Körper, der nach Wasser lechzt, es ist meine Seele, die danach schreit, genährt zu werden. Ich brauche Wasser für die Seele, das mich lebendig macht.

Gerade in diesen Tagen merken wir vielleicht, dass wir nicht nur Körper sind, dass in uns etwas wohnt, was viel größer ist, was auch kämpft ums Überleben. Im Alltag, den wir bis jetzt kannten, war oft wenig Gelegenheit zu spüren, was wir tief im Innern wirklich brauchen.

Und deshalb frage ich dich: Wonach dürstet deine Seele?

Der Durst mag groß sein in dieser besorgniserregenden Zeit. Das ist richtig unangenehm, weil wir merken, was uns fehlt, als Menschen. Vielleicht ist aber genau das das Gute daran: dass wir spüren können, dass wir mehr sind als leere Hüllen. Dass wir mehr sind als funktionierende Roboter. Dass wir mehr sind als wir jemals dachten.

Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Wir sind nicht allein mit diesem Spüren.

Es gibt da nicht nur mich, der Durst hat. Es gibt auch andere Menschen, deren Seelen ebenso schreien nach Nähe, nach Sicherheit, nach Liebe, nach einer vertrauten Stimme. Vielleicht kann ich diesen Menschen ja ein Glas Seelenwasser reichen, indem ich sie anrufe, ihnen schreibe, für sie da bin.

Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass da einer ist, der schon vor uns gespürt hat, der nun mit uns spürt, mit uns trägt, mit uns spazieren geht im Park. Er ist es, der uns die Sonne spüren lässt, die uns ins Gesicht scheint. Er sagt: Mich dürstet. Und damit sagt er auch: Ich weiß, was dich dürstet. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Deshalb: Komm her zu mir: Ich gebe dir zu trinken, zu trinken vom lebendigen Wasser. Komm zur Quelle. Hab Hoffnung. Glaube. Denn ich bin bei dir.

Amen.

Vikarin Olivia Brown

Das Lied „Ihr, die ihr Durst habt“ können Sie in der Mediathek hören

Liedtext „Ihr, die ihr Durst habt“

Strophe

Ihr, die ihr Durst habt,
ihr ohne Kraft,
kommt zu der Quelle
und taucht ein in den Lebensstrom,
der den Schmerz und die Sorgen
vom Herzen spült
in das Meer seiner Gnade,
das auch im Tiefen trägt.

Darum:

Refrain 1

Komm, Herr Jesus, komm. (4x)

Refrain 2

Komm, Geist Gottes, komm. (4x)

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