Liebe Gemeinde,

Ich bin unterwegs von Altona zum Grindel. Hamburg ist ungemütlich. Alles grau. Alles windig. Alles irgendwie nass. Auch der Bus, außen und innen. Menschen steigen aus und ein, mit tropfendem Schirm, der Mantelkragen ist hochgeschlagen, die Maske verdeckt – so scheint es – noch mehr als sonst.

Ich erinnere mich, dass die Busgemeinschaft in vorpandemischer Zeit an Tagen wie diesen manchmal die schlechte Laune miteinander geteilt hat. „Scheiß Wetter heute!“ Oder: „Ihr Hund sieht aus, wie ich mich fühle!“ Regentag-Solidarität. Ganz anders heute. Ich fühle mich spontan einsam, mein rechter, rechter Platz ist frei und ich wünsche mir … einen Menschen herbei.

Der sich neben mich setzt, einfach so. Weil noch ein Platz frei ist. Der nicht mit Mini- oder Maxi-Kopfhörern in seiner Sound-Blase abgetaucht ist, oder eben ganz bei sich ist, so sehr, dass neben ihm ein Ufo landen könnte, ohne Reaktion.

Mittlerweile haben wir die Haltestelle am Schlump erreicht. Eine ältere Dame steigt ein. Mühsam zieht sie ihren Einkaufstrolley die Einstiegsrampe hinter sich hoch. Bleibt irgendwie im Türbereich stehen. Der Bus fährt an, unsanft. Im selben Moment sehe ich sie umfallen, so wie etwas umfällt, was sich nicht abstützen kann.  Auch der Hackenporsche verliert das Gleichgewicht.

Auf den Aufprall-Knall folgt die Busgemeinschaft mit ihrem Bestürzungs-Ton. Viele springen auf, keiner denkt an Masken oder Abstände. Ich habe denselben Impuls, doch es sind schon viele da. Die Busfahrerin kommt dazu. „Alles ok?“ Eine Frau hilft der Gestürzten hoch, bringt sie zum Sitzplatz. Ich spüre die liebevolle Fürsorge – trotz meines Abstands von meinem Platz aus.

Es dauert einige Minuten. Die Situation ist unter Kontrolle. Der Frau geht es gut. „Nicht mehr so stabil mit 88.“, sagt sie. Viele lächeln – das sehe ich unter den Masken. Zum Glück, nichts ist passiert. Doch: Es ist etwas passiert. Der Bus ist jetzt anders unterwegs. Wir reden miteinander. Lächeln uns an. Teilen Erleichterung. Menschen haben sich als Menschen gezeigt. Sind dieser Nächsten mit Liebe begegnet. Nächstenliebe hat eben mit Nähe zu tun. Und wir können es noch.

Gott sei Dank!

Ich bin unterwegs auf dem Weg durch die Passion bis Ostern. Vieles macht einsam, vieles ist nass und grau, einiges schier unerträglich, kaum auszuhalten. Die Welt wankt. Wer ist schon stabil? Im Morgengrauen sitze ich in der Kirche. Mein rechter, rechter Platz ist frei. Meine Einsamkeit hat hier ihren Platz.

Mit dem Aufgehen der Sonne fangen wir an zu singen. Probieren den Osterruf: Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden, die Stimme rechts neben mir. Danke, dass Du stabil bist, Gott!

Ich wünsche Ihnen allen einen gesegneten Weg durch alles, was in diesen Wochen vor uns liegt!

Ihre Pastorin Anja Stadtland