Predigt 9. Sonntag nach Trinitatis

von Pastor Dr. Kord Schoeler | St. Andreas Harvestehude

Mit unaussprechlichem Seufzen

Zum Gedenken an Verstorbene der Pandemie

Predigt zum 9. Sonntag nach Trinitatis 2021

Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.

Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.

Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat –, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und stöhnt.

Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes …

Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.

Römer 8,18-23.26

Liebe Gemeinde,                  

seit dem Beginn der Pandemie etwa im März vergangenen Jahres ist in unserer Offenen Kapelle an der Kirche an viele Menschen gedacht worden, die mit der Krankheit, vor der wir uns alle zu schützen versuchen, gekämpft haben, und an viele, die am Ende daran gestorben sind. Seit vergangener Woche nennen wir nun einen Namen auf einer Tafel, auf der oben steht: „Wir gedenken Verstorbener der Pandemie“ und auf der wir wünschen: „Mögen sie ruhen in Frieden“.

Axel Kopido war als einer der ersten in Hamburg an Covid-19 erkrankt, vor einem Jahr verstarb er an der Krankheit. Wir sind seiner Familie dankbar, dass wir seinen Namen als ersten stellvertretend für so viele nennen können.

Hinter den Familien wie der von Axel Kopido liegen Monate der Trauer, die von einer besonderen Spannung geprägt ist: Es ist einerseits eine persönliche, eigene, private Trauer um einen geliebten Menschen. Aber es ist andererseits ja auch die Trauer z. B. der vielen Arztinnen und Pfleger, die um dieses Leben gekämpft haben und es nicht haben retten können. Und es ist eigentlich auch unser aller Trauer, die wir so viel haben tun und lassen müssen, um diese Seuche einzudämmen. Axel Kopido und so viele andere haben wir vor der Krankheit nicht schützen können, wir haben sie verloren. Diese gemeinsame Trauer kommt jedoch bislang kaum zum Ausdruck. Wenige möchten daran denken. Die Angehörigen tragen ihre private Trauer, und diese Trauer erhält auch dadurch immer wieder bittere Nahrung, dass Covid-19 ja als Thema allgegenwärtig ist, aber eben meist nur als Hindernis in unserem Alltagsleben – was auch nicht unerheblich ist; aber wenn Covid-19 als Grund des Sterbens ihres Angehörigen zur Sprache kommen könnte, wird es schnell still und peinlich. Sie sind mit ihrer großen Trauer schnell allein.

Dabei betrifft uns die Seuche alle. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit, schreibt Paulus und weiter: wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und stöhnt.Seufzen tut eigentlich gut. Es ist ein tiefes Atemholen und ein lautes Ausatmen einer Last. Im besten Fall tun wir das gemeinsam: Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst … seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Im tiefen Seufzen liegt immer beides: der Ausdruck einer schweren Last und das Sehnen, die Hoffnung. Es gibt einen erleichternden Moment am Ende eines Seufzers, da kann man das spüren.

Wenn wir jetzt mit einem Namen, an den wir noch stellvertretend für viele andere Verstorbene denken, in die Öffentlichkeit gehen, dann ist es wie ein gemeinsamer Seufzer, mit dem wir hinausgehen, und wir sind dann verbunden und nicht mehr isoliert in unserer Trauer und auch nicht in unserem möglichen Grauen vor der Vergänglichkeit, die uns doch alle betrifft.

Jede, die vor dieser Tafel verweilen und sich berühren lassen wird, nimmt die Kraft und die momentane Erleichterung dieses Seufzers mit auf, und jeder trägt dazu bei, sowie es ja ebenso verbindend ist, dass andere in der Offenen Kapelle ihre Anliegen im Gebet teilen. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, … doch der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.

Wir laden ein, in unserer Offenen Kapelle weiterer Verstorbener der Pandemie mit ihrem Namen zu gedenken und am gemeinsamen Leid wie an der Hoffnung teilzunehmen. – Das gemeinsame Seufzen kann die Hoffnung erschließen: Denn ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.

Bleiben Sie behütet!

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler