Predigt Vierter Sonntag vor der Passionszeit 2022

von Pastor Dr. Kord Schoeler | St. Andreas Harvestehude

Kleiner Glaube?

Predigt zum Vierten Sonntag vor der Passionszeit 2022

Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn! (Matthäus 14,22-33)

 

Liebe Gemeinde,

der Glaube, der innere Umgang mit dem Göttlichen, mache uns gelassen, zufrieden, zuversichtlich, ausgeglichen und belastbar, heißt es oft. – Echt? – Pssst! – Man mag sich selbst und anderen kaum eingestehen, dass der Glaube durchaus etwas ist, was man pflegen möchte, dass er einen jedoch gar nicht so stark und positiv aufbaut, wie man es sich wünschen würde.

Die Stärke vieler biblischer Geschichten ist, dass sie genau davon erzählen. So auch diese. Matthäus erzählt vom Sturm, mit dem die Jünger auf dem Meer kämpfen, und von Jesus, der über das Wasser zu ihnen kommt und den Sturm am Ende abflauen lässt. Im Mittelpunkt steht, wie die Jünger dies erleben. Wichtig ist nicht das Wunder, sondern, wie sie sich wundern.  Matthäus skizziert drei typische Situationen, die wir womöglich auch aus unserem eigenen Glaubensleben kennen.

Die Jünger kämpfen allein. Jesus hat sich zurückgezogen, das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Gott mag zwar irgendwo sein, aber wir haben uns festgekämpft, es gibt hier keinen inneren und keinen äußeren Ausweg, und wir sitzen zwar in einem Boot und sind doch so allein. Es ist nicht selten so. Wir mögen es anders wünschen, aber der Kampf gegen das Widrige nimmt uns völlig ein. So ist es für die Jünger, und so erkennen wir es wieder.

Die Lage könnte sich jetzt ändern, als Jesus über die aufgepeitschten Wellen zu ihnen kommt. Sie könnten finden: was uns hier zu schaffen macht, das macht ihm gar nichts aus, er geht einfach darüber hinweg, setzt es außer Kraft. Aber: Sie schreien vor Furcht. Die sturmgepeitschte See, durch die sie das Boot bringen müssen, kennen sie immerhin, sie können die Kräfte einschätzen, sie wissen, wie und wo sie untergehen können, und wo sie Boden unter den Füßen haben. Wenn Jesus jetzt auf dem Wasser geht, kommt alles ins Schwimmen, sie können das nicht einordnen: ein Phantasma, ein Gespenst, was sie sehen, verliert für sie völlig die Verlässlichkeit und Vertrautheit. Wenn er auf dem Wasser gehen kann, von dem sie doch sicher wussten, dass es nicht trägt, sondern dass man darin untergeht: ticken sie dann noch richtig? Können sie sich auf ihre Erfahrung und ihr Wissen verlassen? Auch diese Furcht können wir wiedererkennen: Nicht selten halten wir das Schlimme für sicher, kommt für uns das Unheil verlässlicher als das Lösende, Vielversprechende.

Schließlich: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. … Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie. Auch dieses Hin-Und-Her-Gerissen-Sein erkennen wir womöglich wieder. Petrus traut sich viel zu und stürzt dann doch ab. Wir sagen – voller Begeisterung oder auch ganz vorsichtig: Das kann ich auch! Nichts hält mich mehr auf! Nichts begrenzt mich!  Ich bin leicht! Ich schwebe über der Gefahr! Bin einmal nur Vertrauen! Aber dann zeigt sich doch der Abgrund und ich sinke. Dieses Vertrauen ist eine Euphorie ohne Verbindung zur Wirklichkeit. Kleiner Glaube, wie Jesus sagt. Was wäre denn großer Glaube?

Wir würden anerkennen: Klein ist unser Glaube zumeist. So ist er normal. Es ist kein Zufall, dass in den Evangelien Petrus für den glaubenden Menschen schlechthin steht: Dieser Kleingläubige und Wankelmütige, dieser Hin-Und-Her-Gerissene steht für uns, und er wird von Jesus „der Fels“ genannt, „auf den Jesus seine Kirche baut“. Stabiler bekommt er eine menschliche Seele nicht. Großer Glaube wäre genügsam, wäre selig, wenn das Vertrauen dann und wann aufschiene, vergnügte, ein wenig entlastete und Hoffnung machte.

Das wäre schon viel!

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler