Predigt 4. Advent 2021

von Pastor Dr. Kord Schoeler | St. Andreas Harvestehude

Mutter Gottes

Predigt zum 4. Sonntag im Advent 2021

Liebe Leserin, lieber Leser,

der 4. Advent ist der Sonntag der Maria. Bevor wir am Weihnachtsfest Gott im Kind feiern, schauen wir auf seine Mutter. Von dieser Frau erfahren wir für biblische Verhältnisse erstaunlich viel: ihr ungefähres Alter, 12-14 Jahre jung wird sie sein, ihre Lebenslage, wir würden sie „verlobt“ nennen, selbst ihren unbedeutenden Wohnort Nazareth und dass sie „drinnen“ ist, als sich ihr Leben umwälzt.

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein … (dieser und die weiteren Texte aus: Lukas 1,26 ff)

Wir kennen Maria andererseits weit abgehoben, als Himmelskönigin in Samt und Brokat von alten Gemälden, als Mutter Gottes, die für unseren Glauben vielleicht keine große Rolle spielt, oder als „Jungfrau Maria“, als Gebärende, die doch mit keinem Mann geschlafen haben soll. Wie deutet die ursprüngliche Erzählung des Lukas-Evangeliums diese Frau? – Als eine, die die richtigen Fragen stellt:

Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden …

Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß?

Sie nimmt nicht einfach hin, was sich nicht in ihr Leben, ihr Wissen und ihre Erfahrungen fügt. Sie ist nicht leichtgläubig, und der Engel weist sie damit nicht ab:

Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.

Das mag keine erschöpfende Antwort sein. Marias Fragen werden auch bleiben, aber diese Frau ist nicht eindimensional, sie kennt neben dem Erklärlichen auch das irrational Vielversprechende und das Wagnis:

mir geschehe, wie du gesagt hast.

Was ihr da geschieht, deutet sie selbst einige Zeit später in der Begegnung mit einer anderen schwangeren Frau, ihrer älteren Verwandten Elisabeth:

Elisabeth … rief laut und sprach: Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe.

Da bricht es aus Maria heraus:

Meine Seele erhebt den Herrn, / und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;

denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. /Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder …

Und seine Barmherzigkeit währet für und für / bei denen, die ihn fürchten …

Er stößt die Gewaltigen vom Thron /und erhebt die Niedrigen.

Maria begreift sich selbst mit großem Selbstbewusstsein als gesegnet und angesehen. Von sich aus ist sie unbedeutend, „niedrig“, aber jetzt ist ihre Seele groß genug, um Gott groß zu machen, eine Mutter Gottes eben.

Aus dem Wagnis heraus sieht sie sich selbst anders und sieht dann auch die Welt gründlich anders: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Mütterlich zu Gott zu sein, ihn in der Welt hervorzubringen und ihm in der Welt Raum zu verschaffen, bedeutet hier, ihm viel zuzutrauen, sich nicht damit abzufinden, dass die einen unten, die anderen oben sind, dass das eine mächtig, das andere schwach ist. Es bedeutet, Gott zuzutrauen, dass er uns bewegen kann, zu dem hinbewegen, was schutzlos, ausgeliefert und scheinbar unbedeutend ist. Wir begreifen gegenwärtig ja schon von selbst, wie wichtig das Unscheinbare ist, dass wir es hüten und schützen müssen, um die Welt zu bewahren. Das gilt für Lebewesen, die mit allen anderen das Weltgefüge zusammenhalten und das gilt den einzelnen mittellosen Menschen in der Ferne, dessen Ergehen für uns doch sozial bedeutend ist.

Maria denkt und wagt. Wir können mit ihr verstehen, wie wichtig das „Niedrige“ ist, und sie kann uns ins Wagnis bewegen, uns das nahegehen zu lassen.

Bleiben Sie behütet!                                                      Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler