Predigt 20. Sonntag nach Trinitatis

von Pastor Dr. Kord Schoeler | St. Andreas Harvestehude

Es ist Dir gesagt, was gut ist …

Predigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis 2021

Und Jesus machte sich von dort auf und kam in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordans. Und abermals lief das Volk in Scharen bei ihm zusammen, und wie es seine Gewohnheit war, lehrte er sie abermals.

Und Pharisäer traten hinzu und fragten ihn, ob es einem Mann erlaubt sei, sich von seiner Frau zu scheiden, und stellten ihn damit auf die Probe.

Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden. Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben; aber von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. (Markus 10,1-9)

Liebe Leserin, lieber Leser,

was sollen wir tun? Was sollen wir lassen? Wie sollen wir handeln? Nicht wenige meinen, wir könnten der Bibel eindeutige Gebote entnehmen, die wir „eins zu eins“, viele sagen „wörtlich“, umsetzen können.

Das ist nicht so. Als wichtigster biblischer Lehrer hat Jesus darauf immer wieder hingewiesen und zugleich aufgezeigt, wie wir dennoch Antworten auf unsere Fragen nach dem guten Handeln bekommen können. Der Predigttext ist eines der wichtigsten Beispiele:

Pharisäer fragten ihn, ob es einem Mann erlaubt sei, sich von seiner Frau zu scheiden, und stellten ihn damit auf die Probe. Jesus sucht mit ihnen eine Antwort in ihrer „Bibel“. Das waren damals noch nicht so viele Schriften, und bei nicht wenigen stritten sie noch, ob sie als heilige Schriften anerkannt werden sollten oder nicht. Einig waren sie sich bei „Mose“, der Thora, der Weisung, wir sagen heute: bei den fünf Büchern Mose. Also: Was hat euch Mose geboten? Sie lesen nach und finden die Möglichkeit: Wenn jemand eine Frau zur Ehe nimmt, sie ihm dann aber nicht mehr gefällt, … und er einen Scheidebrief schreibt und ihr in die Hand gibt und sie aus seinem Hause entlässt … Klare Regelung! Daran könnten sie manches anstößig empfinden, es bedeutet ja unter anderem, dass ein Mann seine Frau nach seinem Gutdünken fortschicken kann. Aber wenn sie nachlesen, können sie erst einmal sagen: in der Thora wird eine Scheidung erlaubt.

Nun liest Jesus aber mehr in „der Bibel“ und findet etwas, das Tieferes und Bedeutsameres zur Ehe sagt: Es wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen. Es zieht uns zueinander hin. Eine Kraft, die uns ergreift, eine leidenschaftliche Zuneigung begründet eine Partnerschaft. Und die liegt am Grund unseres Wesens, mit den biblischen Worten: Gott hat uns so geschaffen, einander zugehörig, eins, mit Leib und Seele.

Das ist verblüffend, denn Jesus denkt hier die Ehe von der Liebe her. Nicht selten wird die These vertreten, so würde erst die Moderne denken, bis etwa ins 19. Jahrhundert hinein sei die Ehe in erster Linie als Einrichtung der gegenseitigen sozialen Versorgung verstanden worden, die Frau vor allem als Besitz des Mannes und der Mann in der Pflicht, die „Seinen“ materiell abzusichern – dies alles abgesichert in einem Ehevertrag. Keine Spur Romantik.

Jesus denkt von der Schöpfungsgeschichte her an die Liebe, welche die Partnerschaft begründet. Auf die Liebe kommt es für ihn an. Sie hat den höchsten Wert, und sie stellt für ihn die Möglichkeit der Ehescheidung infrage. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Das Recht zur Ehescheidung hebt Jesus damit nicht auf. Er fragt ja zunächst nachdrücklich nach der Weisung: Was hat euch Mose geboten?

Den Widerspruch, den er hier innerhalb der Heiligen Schrift aufweist, den Widerspruch zwischen Recht und Liebe, dem Recht, das möglicherweise in manchen Fällen zu einer vernünftigen Lösung führt, und der Liebe, die eigentlich immer den Vorrang behalten und unser Leben zum Glück bestimmen sollte, diesen Widerspruch hebt er nicht auf. Er weiß aber auch, dass dieser Widerspruch aus einer Störung herrührt, aus einem verhärteten Herzen. Es hilft nicht, mit einem verhärteten Herzen nach einer eindeutigen Lösung und Antwort zu fragen. Deshalb gibt auch die Bibel auf diese wie auf viele anderen Fragen keine eindeutige Antwort. Es hilft jedoch zu fragen: Worauf kommt es an? Was ist wesentlich? Womöglich führen uns diese Fragen zur Liebe und zur Beziehung, die uns trägt, in der zu verweilen, sich lohnt und beglückt.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Micha 6,8)

Bleiben Sie behütet!

Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler