Eine Tür ging zu, eine andere auf.

Zum Ende der Frühjahrsferien im März 2020 fand das gewohnte gesellschaftliche, soziale, wirtschaftliche, kulturelle und nicht zuletzt auch gemeindliche Leben ein jähes, vorläufiges Ende. Der Betrieb musste vollständig eingestellt werden, jegliche Zusammenkunft war untersagt. Verzicht und Besinnung in der Passionszeit bekamen eine völlig unerwartete Bedeutung. Noch jetzt, zwei Monate später, als gerade wieder der erste Gottesdienst unter doch recht eigenartigen Infektionsschutzkonzept-Bedingungen abgehalten werden konnte, ist noch kein umfassendes Ende der Maßnahmen in Sicht. Die Auswirkungen werden sich mit der Zeit noch zeigen, in jedem Fall stehen wir für mich irgendwie vor vielen Ungewissheiten und zwischen einem Ende und einem Anfang zu was auch immer.

Stand die Gemeinde u. a. durch die Ereignisse zum Ende letzten Jahres und durch gleich mehrere personelle Veränderungen sowieso vor großen Herausforderungen, werden jetzt sicher umso mehr noch neue Wege gegangen werden müssen – die aber zugleich auch viele Chancen und Hoffnungen auf ein sich entwickelndes Gemeindeleben bergen.

Ob Sitzungen des Kirchengemeinderates per Video, die Organisation der Notbetreuung in der Kita, ein höherer seelsorgerischer Bedarf – vieles musste in zum Teil aufwändiger Detailarbeit neu aufgestellt und strukturiert werden. Dazu gehörte auch als ein Novum die Produktion erst von Passionsandachten und dann auch von Predigten, Kindergottesdiensten und (kirchen-)musikalischen Beiträgen als Audio oder Video und deren Veröffentlichung auf der Internetseite. Da es dem Vernehmen nach auch schon Videomeetings gab, in denen eine Predigt online zusammen angehört und besprochen wurde, wird die Mediathek auch weiterhin parallel zu den Gottesdiensten befüllt werden.

Weitere Überlegungen, trotz der Schließung der Kirche einen Ort der Begegnung mit sich oder Gott und der Andacht zu schaffen, mündeten in der Öffnung der Gittertüren des linken Seitenportales und der spontanen, improvisierten Einrichtung der Offenen Kapelle. Rund um die Uhr ist das Licht an, die Kerzen brennen und laden zu einem besonderen Moment im Alltag ein. Auch die Gelegenheit, eine Fürbitte oder einen Gedanken zu hinterlassen, wurde schon vielfach wahrgenommen. Erst jetzt ist mir im Zuge solcher Überlegungen klar geworden, dass es mit der Kapelle ja noch eine andere Bewandtnis hat, die ich mit einem Ausflug in die Historie der Gemeinde all denen vermitteln möchte, die nicht darum wissen.

Vielleicht hat sich der eine oder andere über die scheinbar unnötigen Treppenstufen vor den Fenstern der Küche im Gemeindehaus gewundert. Ihrer Funktion beraubt sind sie erst seit Anfang der 1990er-Jahre, als hier erst ein Küsterbüro und kurz danach die Küche eingerichtet wurde. Vorher war hier tatsächlich der Eingang in eine Kapelle, die die Keimzelle der Gemeinde St. Andreas war.

Nach der Gründung der Kirchengemeinde Harvestehude im Jahr 1879 wurde die dazugehörige St. Johannis-Kirche gebaut und 1882 geweiht. Die Gemeinde erfreute sich so großen Zulaufs, dass ab 1893 die Kapelle des Hospitals am Schlump als zweite Gottesdienststätte genutzt und ein zweiter Gemeindebezirk mit einem eigenen Pastor gegründet wurde. Auch diese wurde bald zu klein, so dass in der Bogenstraße zusätzlich ein Pastorat und ein Gemeindesaal errichtet wurden – umgehend wurde der Saal dann umgebaut und am 1. Oktober 1899 zur St. Andreas-Kapelle und als permanente Gottesdienststätte geweiht. Der Stadtteil und die Gemeinde prosperierten weiter stark und verlangten nach einem größeren Gebäude.

Dank eines privaten Financiers konnte mit dem Neubau einer großen Kirche begonnen werden, die 1907 fast zeitgleich zum 25. Jubiläum von St. Johannis geweiht wurde. Erst 1947 wurde St. Andreas zur eigenständigen Kirchengemeinde. In dieser Zeit, bis die Kirche nach ihrer Zerstörung wieder instandbesetzt wurde, wurden Gottesdienste, Hochzeiten und andere Feierlichkeiten wieder in der Kapelle abgehalten. In unserer Küche, die jetzt im Sommer neu eingerichtet wird, setze ich den Kaffee mittlerweile doch mal mit einem anderen Bewusstsein auf …

Nun, 121 Jahre später, ist durch die Corona-Pandemie wieder ein Andachtsraum entstanden, außerhalb des Kirchbaums und doch in der Kirche. Er wird eine weniger improvisierte Ausstattung erhalten und fester Bestandteil von St. Andreas bleiben. Vielleicht entwickelt er sich sogar zur Votivkapelle, zum Gedenkort für diese für uns alle spezielle Zeit, was auch immer noch aus dieser wird oder auch nicht.

Wie stets, wenn es um die Historie von St. Andreas geht: herzlichen Dank an Dr. Derek Vinyard und alle anderen, die an der Festschrift 2007 zum 100-jährigen Jubiläum der Kirchweihe mitgewirkt haben.

Hanns-Georg Hanl, Kirchenvorsteher