Predigt am 19.04.2020, Quasimodogeniti
Liebe Konfirmanden, liebe Leserinnen,
Wisst Ihr, wissen Sie, wie viel Sternlein stehen?
Wir hatten gedacht, vieles zu wissen und jetzt kommt es uns manchmal vor, als wüssten wir gar nichts mehr. Die Welt ist gewissermaßen ver-rückt. Aber die Sterne stehen noch genauso da wie sonst auch. Der große Wagen, der Polarstern und auch all die anderen, die wir nicht mit Namen kennen und selbst jetzt, wo wir abends viel Zeit haben, nicht zählen können.
In dieser ver-rückten Welt höre ich gern die altvertraute Melodie und die Worte dazu: Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet. Der Liedtext hat seinen Ursprung im Predigttext, der für diesen Sonntag vorgesehen ist. „Seht doch nur in die Höhe!“ so fordert der Prophet Jesaja auf:
„Wer hat die Sterne da oben geschaffen? Er lässt sie alle aufmarschieren, das ganze unermessliche Heer. Jeden Stern ruft er einzeln mit Namen, und keiner bleibt fern, wenn er, der Mächtige und Gewaltige, ruft.
Ihr Leute von Israel, ihr Nachkommen Jakobs, warum klagt ihr: »Der Herr kümmert sich nicht um uns; unser Gott lässt es zu, dass uns Unrecht geschieht«? Habt ihr denn nicht gehört? Habt ihr nicht begriffen? Der Herr ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, seine Macht reicht über die ganze Erde; er hat sie geschaffen! Er wird nicht müde, seine Kraft lässt nicht nach; seine Weisheit ist tief und unerschöpflich. Er gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark.
Selbst junge Leute werden kraftlos, die Stärksten erlahmen. Aber alle, die auf den Herrn vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft, es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und brechen nicht zusammen.“ (Jes 40,26-31)
Selbst junge Leute werden kraftlos? Ihr müsst Euch im Moment nicht körperlich anstrengen, ja, es ist sogar im Moment gar nicht so leicht, das zu tun, weil alle Sportveranstaltungen ausfallen. Gerade das ist es, was Euch im Moment viel Kraft raubt.
Es macht müde, so lahm gelegt zu sein und nicht zu wissen, für wie lange. Ihr vermisst Eure Freunde und sogar irgendwie die Schule und das Lernen, wenn auch vielleicht nicht das frühe Aufstehen.
Manchen Einfall habt Ihr, wie man dennoch Dinge tun kann: Frisbee über den Gartenzaun, Videochats mit Freunden und Großeltern. Und es ist ja auch schön, Zeit mit Eltern und Geschwistern zusammen zu verbringen. Manches kann man zusammen tun, was man schon lange nicht mehr gemacht hat. Spätestens aber wenn man auf dem traditionellen gemeinsamen Spazierweg am Spielplatz vorbeikommt, wird klar: Da stimmt etwas nicht: Es ist gespenstisch still wo Ihr früher getobt habt. Nur das rotweiße Band flattert vor sich hin.
Es beunruhigt Euch auch, wie Menschen Euch auf der Straße ausweichen. Natürlich, man weiß, warum das sein muss, aber es fühlt sich nicht gut an.
Am schlimmsten ist, dass man nicht weiß, wie lange. Wann wird alles wieder normal sein? Überhaupt jemals? Manche haben Angst um ihre Familien oder machen sich Sorgen um die Menschen in Italien und Spanien oder auch in Ländern, wo die Krankheit jetzt noch nicht ausgebrochen ist, aber wo es keine so gute medizinische Versorgung wie hier in Europa gibt.
Ihr habt Euch entschlossen, zum Konfirmandenunterricht zu kommen, weil Ihr auf eine Kraft hofft, die uns zu einem guten Miteinander untereinander und mit der ganzen Schöpfung führt, dass wir aufeinander achten und darauf, dass diese schöne Welt für kommende Generationen erhalten bleibt.
Wo ist diese Kraft jetzt, in dieser ver-rückten Welt? Gott, so heißt es beim Propheten Jesaja, gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark. Keiner bleibt fern, alle ruft er mit Namen.
Hören wir den Ruf oder ist da nur die beunruhigende Stille der leeren Straßen und Spielplätze?
Letztes Wochenende, Ostersonntag, da habe ich plötzlich was gehört. Es war noch morgens und ich fuhr an der großen Kieler Straße entlang. Kaum Autos oder Menschen waren unterwegs und ich war ganz in Gedanken – bei alldem, was an diesem Tag ausfallen würde. Darum dachte ich zuerst, ich hätte es mir eingebildet…Doch, da war es wieder: Musik, ein Lied, das ich gut kannte. Welches, da bin ich mir nicht mehr sicher….Kam es vielleicht aus der Kneipe da drüben? Nein, das konnte ja nicht sein. Auch nicht aus einem der vorüberfahrenden Autos….Es hat eine Weile gedauert bis ich den Mann an der Bushaltestelle mit seiner Mundharmonika entdeckt habe. Offenbar vertrieb er sich so die Wartezeit auf den Bus.
Ich habe ihm kurz als Dank gewinkt. Er hat weiter gespielt. Irgendwie auch verrückt. Das hatte ich bisher noch nicht erlebt. Aber auf eine Art, die Verrücktes wieder gerade rückt, so wie es sein soll: Dass Menschen Freude am Leben haben und vermitteln, dass sie sich aus den trüben Gedanken reißen.
Was können wir tun gegen die Müdigkeit und Kraftlosigkeit, die uns befällt, gegen das Gefühl, allein zu sein in dieser verrückten Welt? Euch ist einiges eingefallen, aber das Einfachste und vielleicht Wirkungsvollste: Wenn man jemandem auf der Straße ausweicht, diesen freundlich anlächeln. Falls ich gerade keine Mundharmonika zur Hand habe, bemühe ich mich jetzt darum. Das gute daran ist, dass zumeist auch ein Lächeln zurückkommt, zumindest ein Augenstrahlen über einem Mundschutz. Ich bin gemeint, von Gott beim Namen gerufen! Mir wachsen Flügel.
Eure und Ihre Pastorin
Ute Parra