Predigt zum Karfreitag
Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben, dass einer für alle gestorben ist und so alle gestorben sind.
Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde.
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Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
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Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
(2. Korinther, 5,14-19)
Liebe Gemeinde,
wenn wir um einen Menschen trauern und unser Schmerz groß ist, ziehen wir uns oft zurück. Wir wollen allein sein.
Die anderen, die uns begegnen, wirken dann auch oft befangen, wissen nicht, was sie sagen sollen. Und sollen sie uns einfach in den Arm nehmen, oder treten sie uns damit zu nahe? Was ist, wenn wir in Tränen ausbrechen? Die anderen scheinen unsicher zu sein und halten sich lieber zurück.
Die Trauer vereinzelt uns oft für eine Weile.
Irgendwann ist es dann aber gut, wenn wir zusammenkommen, vielleicht zur Beerdigung, und dann fließen unsere Tränen. Die Gegenwart der anderen öffnet die Schleusen des Schmerzes, und auch wenn wir gerade deshalb die Beerdigung gefürchtet haben, nehmen wir doch uns am Ende erleichtert in den Arm. Der Schmerz war groß und er wird auch bleiben, aber er hat sich gelöst. Dazu waren die anderen da. Wir haben den Verlust miteinander getragen.
Unser Zusammenleben hat in diesen Tagen etwas von verirrter Trauer. Denn wir haben weitgehend gar keinen endgültigen Verlust zu ertragen, aber wir leben doch so zurückgezogen, als hätten wir großen Schmerz. Wir leben wie in einer Trauer, in die wir gar nicht gehören, die uns aber doch ergreift. Und viele unter uns haben auch schon etliches verloren: das geregelte Einkommen vielleicht, die Unbeschwertheit, womöglich ihre Gesundheit.
Wir alle haben jedenfalls die Klarheit darüber verloren, wie es weitergehen kann. Wir sind mit unseren Selbstverständlichkeiten entzweit. Das Leben, auf das wir uns sonst verlassen können, ohne dass wir darüber nachdenken müssten, gibt es so gerade nicht mehr.
Dass wir in einer tiefen Unstimmigkeit leben, dass wir mit dem selbstverständlich verlässlichen Leben entzweit sind, so etwas kennen Menschen seit je. Uns reißt die Verbindung zum Grund unseres Lebens ab, oder wir können sie nicht finden und aufnehmen, und wir wissen nicht warum.
Der Tod Jesu, an den wir am Karfreitag denken, ist das unsinnigste und brutalste Beispiel dafür: Wir Menschen sind sogar in der Lage, den Grund unseres Lebens, nämlich den Gott, der sich uns zuwendet, in den Tod zu stoßen. Eine tiefere Entzweiung ist kaum möglich.
Wir sind uns selbst und dem Leben wie abgestorben. Das ist die Trauer des Karfreitags, und die können wir dies Jahr auch noch kaum teilen, indem wir miteinander Gottesdienst feiern würden.
Aber Gott bleibt. Wenn einer, dann ist er unserem traurigen Leid gegenüber unbefangen, nimmt uns nicht nur vorbehaltlos in den Arm, sondern vergießt unsere Tränen mit uns. Unsere Trauer und sein Sterben lassen sich gar nicht mehr unterscheiden: … da wir erkannt haben, dass einer für alle gestorben ist und so alle gestorben sind.
Und dabei bleibt es nicht. Sondern in seiner unwiderstehlichen Nähe, stirbt er unseren Tod mit und lebt mit uns die tiefste Trauer durch und führt uns in diesen Moment am Grab, in dem sich der Schmerz gelöst hat, weil er in seiner ganzen Größe gemeinsam getragen wurde: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden!
Das versöhnt uns mit dem Grund unseres Lebens, auch in diesen Tagen, in denen wir oft so isoliert, mit uns selbst entzweit und leer sind.
Ich wünsche Ihnen versöhnte Nähe – im Schmerz und im Glück.
Ihr Pastor Dr. Kord Schoeler
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Passionsandacht – anders als gedacht
Als wir die Passionsandachten in diesem Jahr geplant haben, stand für uns das Nachdenken über die Klimakrise im Mittelpunkt. Das ist eine von Menschen gemachte Krise, jede und jeder Einzelne kann eigene schuldhafte Verstrickungen feststellen, die zu ihr beitragen.
Nun hat uns eine andere Krise getroffen, die gewissermaßen von außen über uns alle hereinbricht, uns gleichzeitig vereinzelt in unseren Häusern und ein großes Gemeinschaftsgefühl aufkommen lässt.
In unserer Kirche steht das Triumphkreuz, das jede Woche durch einen weiteren Rosmarinzweig geschmückt wird als „Baum des Lebens“:
Dies uralte Symbol steht dafür, dass Schuld, Leid und Tod nicht das letzte Wort haben: Dies tote Holz, das Wurzeln, Blätter, sogar Blüten und Früchte treibt verbindet uns in der Hoffnung, dass das Leben stärker ist als der Tod.
Die kahlen Balken, aus denen grüne Triebe sprießen – Gottes Leiden und Sterben für uns, als Wendepunkt – dem widmen sich weiterhin unsere Passionsandachten in diesem Jahr anhand von Jesu Worten am Kreuz.
Wir deuten sie als Worte von Versöhnung, Neuanfang, liebender Fürsorge, Mit-Leid, Sehnsucht und Gottvertrauen, als Worte des Lebens – auch und gerade in diesen Tagen.